Lektüre

06.02.2024

Lektüre6. Februar

Ich spazierte am Morgen durch das Mozi-Dorf und zog neugierige Blicke auf mich. Es war ein Wochentag, man ging den langsamen Arbeiten nach, dem Fegen, dem Begutachten der Kirschbäume auf den Grasstreifen zwischen Häusern und Fahrbahn, dem Aufsammeln von Fallobst, dem Radeln mit Lasten, dem Lungern, Schauen, Plaudern. Das Raster der Straßen ließ kein Verirren zu, immer wieder kam ich zurück an die Kreuzung mit Post, Kino, Polizei. In den Bäumen an dem trägen kleinen Fluss riefen Pirole. Hunde streunten an den Straßenrändern, Katzen schlichen an den Hauswänden vorbei und hockten reglos in Erwartung von Beute im Gras. Im Hinterhof einer Fleischerei stapelten sich Kisten mit Geflügelteilen, umschwirrt von Fliegen. Der Fleischer in langer Schürze kam in den Hof, verscheuchte die Fliegen, packte eine Kiste und trug sie hinein. Außer dem CBA Supermarkt gab es einen China-Laden und eine Eisdiele, am Eingang des Halbkellers mit Obst- und Gemüseladen stand eine Frau barfuß, die Hand an die Stirn gelegt, und schaute den Gehweg hinauf und hinab. Der Gehweg lag tiefer als die Straße, die wie ein Damm zwischen hohen Linden und Kastanienbäumen verlief. Ein Fahrradgeschäft sperrte auf, ein großer Mann trug bunter Kinder- und Damenfahrräder hinaus auf den Gehsteig, wo sie Kunden anlocken sollten. Er schritt gemächlich, den Kopf leicht zwischen den gekrümmten Schultern eingezogen, in jeder Hand trug er ein Rad, wie ein Muskelmann am Jahrmarkt. In einer Nebenstraße bemerkte ich eine Aufschrift auf der Stirnwand eines langgestreckten Schuppens und meinte dort in den verblassten, bröckelnden Blockbuchstaben das Wort »Mozi« zu erkennen. Ich hörte das langgezogene klagende Pfeifen eines Zugs, der sich in Gang setzte und zwischen den gesenkten Schranken die Straße überquerte, auf dem Weg in den Ort, wo mein Schlafplatz war. Ich war sicher ein halbes Dutzend Mal am Mozi vorbeigekommen, als mich jemand ansprach und fragte, ob ich etwas suche. Ich möchte das Kino besichtigen, sagte ich. Wollen Sie das Kino kaufen?, fragte der Mann. Er war klein und schwarzhaarig, und ein plötzlicher Eifer funkelte ihm aus den Augen. Er setzte eine freundliche Miene auf. Ja, vielleicht möchte ich das Kino kaufen, gab ich zur Antwort.


Esther Kinsky: Weiter Sehen

 

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