Müsste man [...] Maßstäbe der interkulturellen Kompetenz anlegen, so würde Foucault wahrscheinlich durchfallen. Nach allem, was sich rekonstruieren lässt, muss man vermuten, dass er sich wenig für Land und Leute interessierte. Er lernte weder die arabische Sprache, noch knüpfte er nennenswerte Kontakte zu Tunesiern – wenn man einmal von den namenlos bleibenden Sexpartnern absieht [...]. Das Einzige, was Foucault über Tunesien zu sagen wusste, war ausgerechnet eine europäische Referenz: »Ein Land, das von der Geschichte gesegnet ist und, weil es Hannibal und den Heiligen Augustinus hervorgebracht hat, das ewige Leben verdient«, sagte er [...] beim Besuch der Ausgrabungsstätte in der Bucht von Tunis. Immerhin: Foucault reiste ausgiebig. Was ihn jedoch spätestens nach Gustave Flaubert sehr verdächtig machte. Der Schriftsteller, selbst ein passionierter Orientreisender, hat in seinem Wörterbuch der Gemeinplätze eine spöttische, aber treffende Definition für einen Orientalisten parat: »Jemand, der viel gereist ist.«
Onur Erdur: Schule des Südens. Die kolonialen Wurzeln der französischen Theorie