von büchern
Sie haben zehntausend Dinge, etwa zehntausend, oder etwas mehr, oder etwas weniger, und das ist eine ganze Menge. Ich weiß nicht, wovon sie am meisten haben, aber Bücher sind eine Menge da, und vielleicht ist es das, wovon sie am meisten haben.
Es gibt Häuser mit Büchern darin und Häuser ohne Bücher oder fast ohne Bücher, das heißt so wenig Büchern, dass es eher wie ein Versehen aussieht, dass es überhaupt welche gibt, und man fühlt sich nicht wohl mit wenigen Büchern, die keine Bücher sind, weil sie eher nach einem Versehen aussehen, wenn man Bücher mag. Es zeigt sich, dass Bücher keine Bücher sind, wenn ein gewisses Volumen fehlt, dass Bücher verloren wirken, wenn sie nur ein paar sind, und Bücher erst Bücher werden, wenn sie zu vielen sind, wenn ein gewisses Volumen da ist, und dieses Volumen ist eine Bibliothek. Bücher sind erst Bücher in einer Bibliothek.
Es gibt also Häuser mit einer Bibliothek und ohne. Ohne sind Häuser mit wenigen Büchern und ohne Bücher. Ich mag Häuser mit vielen Büchern (einer Bibliothek) und Häuser mit gar keinen Büchern, und ich weiß nicht, welche ich lieber mag. Ich weiß aber, dass ich Häuser, wo ein paar Bücher sind, die dann keine Bücher sind, weil sie eine lausige Auswahl aus Möglichkeiten und verloren sind, dass ich diese Häuser nicht mag. Bei wenigen Büchern, egal welchen Büchern, findet sich nichts zu lesen, und ich mag keine Häuser, wo Bücher sind, die keine Bücher sind, weil man zwischen ihnen nicht auswählen kann, weil es zu wenige sind und immer die falschen, ganz egal welche, so dass man lustlos wird, weil man lesen könnte, aber nicht lesen kann. Das Beste ist dann, gleich wieder abzureisen und nie wiederzukommen.
Ich meide Häuser, die Leuten gehören, die keine Leser sind, aber so tun, als ob sie Leser wären und daher ein paar Bücher aufgeräumt in den Regalen haben zwischen Brettspielen und CDs und Kristallvasen und Kerzenständern und kleinen bemalten Figuren und allem möglichen unmöglichen Zeug, das man sich nur vorstellen kann. Zeug, das kein Ding ist, weil es niemanden gibt, der davon Gebrauch machen könnte, weil es keinen Gebrauch für es gibt, weil es nichts gibt, als es zu haben. Und etwas zu haben ist kein Gebrauch, weil es mit keinem Tun zusammenhängt. Es ist aber das Tun, was uns lebendig erhält, und nicht das Besitzen, und das Lesen ist ein Tun. Und unter allem möglichen Tun tue ich dieses am liebsten.
Ich gehe lieber in bücherlose Häuser, wo die Leute nicht so tun, als ob sie Leser wären, und daher auch keine Bücher aufstellen, denn jemand, der nur ein paar Bücher hat, ist kein Leser, sondern ein Aufschneider, und er ist auch kein Sammler, was die schönste Art des Nichtlesens ist, wenn auch nicht die ehrlichste, denn die ehrlichste ist, nicht zu lesen und keine Bücher zu haben. In Häusern ohne Bücher und folglich ohne Leser kommt man gar nicht auf die Idee, ein Buch zu lesen, das man nur liest, weil kein anderes da ist. Man liest stattdessen alles, was herumliegt und einem unter und vor die Augen kommt, aber kein Buch ist. Also Zettel, Verpackungsaufschriften, Zeitungsschnipsel, Kleider- und Schrottsammlungsankündigungen, die Dielenrillen, die Teppichfransen, die Wassertropfen drinnen und draußen, den Staub, die Zeit. Oder man liest gar nicht, was die ehrlichste Art des Nichtlesens ist. Stattdessen tut man andere Dinge.
Manchmal nehme ich in eins dieser Häuser ohne Bücher ein Buch mit, wenn ich’s weiß, wenn ich’s will, und ein Buch, ein mitgebrachtes, ist natürlich wieder ein Buch, weil es keinen Platz hat. Denn der Platz von Büchern ist entweder keinen Platz zu haben und stattdessen an einem Ort zu sein oder einen Platz zwischen Büchern zu haben, aber zwischen vielen, denn das macht Bücher zu Büchern. Und viel heißt mehr als eine Reihe, viel heißt rundum. Eine Bibliothek ist immer rundum.
Ein mitgebrachtes Buch aber hat keinen Platz. Ein Platz ist etwas Bestimmtes. Ein mitgebrachtes Buch aber ist immer nur ungefähr, es ist hier oder dort. Es hat keinen festen Platz, weil es an vielen wechselnden ist, und es sind Orte. Es liegt im Schlafzimmer auf dem Nachttisch, wechselt in den Garten zum Liegestuhl, zum Gras, zur Bank zwischen Heckenrosen, zur Straßenbahnhaltestelle, um beim Warten zu helfen, auf jemanden, der nie pünktlich kommt, zum Küchenschrank, zur Toilette, zum Friedhof, zum Wolletrog, zum Kopfkissen, zum Lampenfuß. Es ist hier, könnte aber auch dort sein, und man fragt häufig danach, wo es ist, und keiner weiß es. Es wird von hier nach dort getragen, es bekommt Farbe, es erzählt mehr als sich selbst. Dann findet man es zufällig. Und ganz woanders, als man erwartet hat.
Diese, die ich besuchte, hatten eine Menge, eine Menge von Dingen, weil sie alles aufhoben, was ins Haus kam, und von Büchern hatten sie, glaube ich, am meisten. Jedenfalls waren von ihnen mehr da als von allem anderen. Das bedeutet wohl, dass es von ihrer Art am meisten gab.
Man sollte dorthin fahren, wenn man lesen möchte, egal bei welchem Wetter, drinnen oder draußen, denn es war auch ein Garten bei diesem Haus, und ein paar Hügel und ein Friedhof. Ein Friedhof ist ein notwendiger Ort für alle, die lesen, um beim Lesen eine Pause zu machen. Man muss beim Lesen Pausen machen. Hin und wieder oder häufig, lange oder kurze. Ohne Pausen ist das Lesen kein Lesen. Und zum Pausenmachen ist ein Friedhof das Zweitbeste. Das Beste ist ein Strand.
Es gab dort einen Friedhof, um Pausen zu machen, aber es gab keinen Strand. Das bemerkten alle, die je dort waren. Es gab einen Wind wie am Strand, aber ohne Strand. Und ohne Strand bedeutet, ohne Meer. Und das war das Eigentliche, was fehlte, was alle bemerkten. Es gab Bücher vom Meer und über das Meer, eine ganze Menge davon, wie es in diesem Haus von allem eine Menge gab, aber es gab kein Meer. Vielleicht weil das Meer ein einzelnes ist. Und weil man es nicht unterteilen kann. Der Garten war viele kleine Gärten, vor dem Haus und hinter dem Haus und zweimal neben dem Haus. Der Wind war einer, der von hier und von dort wehte und warm oder kalt war, es gab ein paar Hügel und eine Menge Wolken, und Bäume und Gras und Büsche und Blumen sowieso. Aber es gab kein Meer. Nur den Wind davon.
Und das wunderte alle, die je dort waren. Ihr habt den Wind und den Himmel und die Wolken davon, aber nicht es selbst, sagten sie. Und sie schüttelten die Köpfe und lachten. Und einige lachten auch nicht. Das waren die, die wirklich gern ein Meer gehabt hätten. Aber es gab keins. Und so blickten sie rundum und stiegen auf die Zehenspitzen und bückten sich und nahmen dann ein Buch aus dem Regal, das ziemlich weit unten stand und das heißt ziemlich weit hinten im Alphabet, denn die Bücher dort waren nach dem Alphabet geordnet und nach noch mehreren anderen Möglichkeiten, Bücher zu ordnen, so dass die Ordnung schon wieder eine Unordnung war, weil man nichts fand und doch immer etwas fand, und das ist schließlich die einzige Art Ordnung, die zu ertragen ist, und für Bücher die einzig richtige und daher allerbeste, und das Buch, das sie fanden, hieß »Am Meer«. Und das war ein großer Trost. Und sie gingen mit dem Buch, dass sie nicht gesucht, aber doch gefunden hatten, in eine Ecke des Gartens oder auf einen der Hügel oder an die Straßenbahn, um dort auf jemanden zu warten, der nie kam, und sie lasen, wo kein Meer war, aber dann eben doch ein Meer war, im Buch, »Am Meer«.