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FAS Nr. 17
28. April 2013
Feuilleton Seite 44
Schönheit und Gebrechen
Wie dichten deutsche Dichter heute?
Versuch einer Bestandsaufnahme der letzten zehn Jahre.
Sie leuchteten
Die Lyrik, wie jede Kunstgattung, macht immer wieder glanzlose Zeiten durch. Die letzten zehn Jahre aber haben geleuchtet. Eine neue Generation trat in Erscheinung: in Zeitschriften, die ihr, wie die inzwischen legendäre »Bellatriste 17«, ganze Sondernummern widmeten; in neu gegründeten Verlagen wie Luxbooks, J. Frank, Urs Engelers roughbooks und dem berühmtesten, Kookbooks, der nicht nur Lyrik verlegt, sondern die »Poesie als Lebensform« versteht. In Anthologien wie dem schon 2003 von Jan Wagner und Björn Kuhligk herausgegebenen Band »Lyrik von jetzt«, der einen ersten Überblick über die jüngere deutsche Gegenwartslyrik erlaubte.
In diesem dicht geknüpften Netzwerk zeichnete sich vordergründig eine Gemeinsamkeit ab: die des Alters. Eine Generation von Dichtern wurde multimedial gelungen inszeniert, rein subjektiv anmutende Erfahrungen wurden zu einer geteilten und auch mitgeteilten Gemeinsamkeit gebündelt. Das zeigte sich zum Beispiel an dem zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts schon fast inflationär gebrauchten lyrischen »wir«, bei dem man oft nicht so recht wusste, wie und aus wie vielen Einzelnen es sich zusammensetzte, ob das nur ein Du und ein Ich war oder nicht doch eine auf Distinktion und Exklusion bedachte in-group. Denn ziemlich selbstreferentiell und undialogisch wirkte dieses Wir.
Dass das lyrische Gruppen-»wir« etwas Aufgesetztes war, mehr aus Trotz und Durchsetzungswillen als aus dichterischer Notwendigkeit geboren, wurde im Laufe des Jahrzehnts klar; kaum war ein gewisses Maß an Etabliertheit unter den Jungen erreicht, ging das »wir« mehr und mehr verloren, die Stimmen entfalteten sich, individualisierten – und es fanden sich ganz neue Zugehörigkeiten. Als Prozessbeschleuniger wirkte dabei, wie sich diese Dichter zunehmend über sich selbst verständigten, was ab der Mitte des Jahrzehnts die lyrische Produktion begleitete und reflektierte: Immer wieder ging es darum, das Dichterische an der Dichtung zu bestimmen.
Auch in der Lyrik ist der Gegensatz von konventionell und experimentell aufgehoben – ähnlich wie in der Neuen Musik. Mit Metrum, Reim, lyrischen und prosanahen Formen wird in großer Unverkrampftheit umgegangen. Und doch lassen sich noch immer zwei Pole ausmachen, zwischen denen sich die Dichtung bewegt: Einmal gibt es da eine eher dem Erzähl- als dem Materialcharakter zuneigende Dichtung, die alte Formen wiederbelebt, sich dem hohen Dichterton anlehnt, auch wenn sie ihn zuweilen ironisch modernistisch bricht. Und dann eine formengebärende Dichtung mit einer frechen, manchmal rotzigen, aus Vergangenheitssättigung und Gegenwartshingabe geborenen Sprache, die überrascht, vor den Kopf stößt, verführt.
Nora Bossong, Jan Wagner und Marion Poschmann neigen zweifellos dem ersten der beiden Pole zu. Ihre Gedichte sind weniger in einem klassischen als einem biedermeierlichen Sinne schön: Zu sehr vertrauen sie darauf, dass Schönheit entsteht, indem man schöne Wörter aneinanderreiht. Und da ist es dann gleich, ob, wie bei Bossong (»Sommer vor den Mauern«, erschienen 2011 im Hanser-Verlag), drei verblühte Rosen das Thema sind, drei tote Wachteln auf einem niederländischen Stillleben – oder der Ort, an dem Mussolinis Leichnam und der seiner Geliebten Claretta Petacci, kopfunter an den Träger einer Tankstelle gebunden, geschändet wurden.
Duce
Ins Klirren der Kirchen, Klingeln der Trams
schaukelt der Körper vom Dach einer Tanke,
plustert sich auf in der Hitze, ein stinkendes Pendel.
Wir stehen dabei, Jahrzehnte zu spät, zeitlich verzogen
unser Blick zur Traufe, und jetzt landen Möwen
auf dem balzheißen Bau, ein Gurren, ein Flattern.
Der Körper kopfüber umtänzelt die Zwergin,
zwei salzweiße Leichen, der Geruch von Benzin.
Drei Kugeln kehlig, vier in der Schulter,
ferner sind Lenden und Arm ruiniert,
ein Sieb, eine Siebesfeier, die wir beäugen,
den letzten Ball der beiden Bälger
und wir, zwei dahergelaufene Zeugen,
wissen wir denn, was Liebe war.
Jan Wagner, inzwischen mit vier Lyrikbänden präsent, ist zupackender und konturenreicher. Aber auch bei ihm findet sich ein ungebrochenes Vertrauen in alte Formen, einen Ton, der mehr an C. F. Meyer erinnert als an einen Dichter des 21. Jahrhunderts.
chamäleon
älter als der bischofsstab,
den es hinter sich herzieht, die krümme
des schwanzes. (...)
die augenkuppeln, mit schuppen
gepanzert, eine festung, hinter der
nur die pupille sich bewegt, ein nervöses
flackern hinter der schießscharte (...)
Wagner war immer schon begabt darin, erprobte Mittel geschliffen anzuwenden. Auch die »wir«-Mode der Aufbruchsjahre hat er mitgemacht, nur wirkt seine Lyrik, die die eigene Historizität selten reflektiert, angestaubt und brav. Trotz virtuos gesetzter Endreime und swingendem Metrum ist er letztlich ein Prosaiker, der einer narrativen Beschreibung huldigt – was fehlt, ist der Irritation auslösende Schwindel, eine Aussparung, die eine Spannung herstellt zwischen zwei Elementen, die den Leser ins Gedicht zieht, als Mitbauenden, nicht draußen stehen lässt, als bloß zur Bewunderung angehaltenen Betrachter. Schönheit darf nicht Wiederholung eines Effekts, darf nicht intendiert sein. Die Perfektionierung des Bekannten macht aus Gedichten Gebrauchsgegenstände, im schlimmsten Fall: Parodien.
Auch Marion Poschmann zieht es zu strengen Formen, symmetrischem Strophenbau, festem Metrum; aber ihre lyrische Welt ist komplexer gebaut. Ihre Sprache, weniger gewiss, linear strukturiert, gibt den Assoziationen mehr Raum. Erkauft wird die größere Offenheit und Durchlässigkeit jedoch durch eine Vagheit des Stils, was zwar beabsichtigt sein mag (ihr letzter Gedichtband, »Geistersehen«, vor drei Jahren bei Suhrkamp erschienen, variiert nicht nur thematisch Unschärfen, Vexierbilder, Erinnerungen), oft aber unsouverän wirkt. Geradezu inflationär gebraucht sie Vergleichspartikel (»etwas wie«, »wie«), und dass Verben und Artikel fehlen, ist selten befriedigend (»uns blieben Spuren von Bewegung«).
Verstärkt wird der Eindruck durch das großzügige Ausstreuen von Unbestimmtheitsadverbien (»beinahe«, »fast«, »wohl«, »irgendwie«), die das Zittrig-Verwischte flüchtiger Gefühle, Erinnerungen, Gedanken hervorrufen sollen, ohne in den Mitteln zu überzeugen. »herbstlich und kühl ist es / herbstlich und kühl«, beginnt das Gedicht »Erinnerungen an was«, eine Leerzeile folgt, und mehr brauchte es nicht: hier beginnt der Aufflug. Stark ist Poschmann da, wo sie die strenge Form, die sie zu oft mit überflüssigen Partikeln füllt, aufgibt, stattdessen einem Bild vertraut, ihm folgt:
Rheinisches Schiefergebirge
ich hatte versehentlich Teflon
zerkratzt, mit Metallbesteck
Umrißlinien prähistorischer Tiere
in eine unserer Pfannen gezogen
(...)
ins Spülwasser tropften
Mammute, Auerochsen, trafen auf die
verzerrte Spiegelung von Riesenhirschen
ich blieb ein Schwamm,
der uns bis hinter das Licht führte
triefend vor Müdigkeit
sie trocknete ab, faltete Ewigkeiten
auf Handtuchformat
Zu den Traditionalisten gehören, trotz des exzessiv betriebenen urbanistischen Wir-Kults, auch Tom Schulz, Daniel Falb, Alexander Gumz. Ihre Verse, prosanah, emotionsscheu, lapidar, sind eine Sammlung von Oberflächenbeobachtungen, kühle parataktische Narrationen in räumlicher wie zeitlicher Unbestimmtheit (»da gab es«, »oder ein anderer ort«, »einmal«, »dann«), mit großer Vorliebe für neutralisierende Plurale (»foyers oder lobbys«, ,»knorrige damen«, »männer«), Passivkonstruktionen und neugefügte Komposita. Die Syntax wird nur wenig variiert, ebenso wie das Metrum. So entsteht ein dünner stakkatohafter Sound, der das lyrische Sentiment trockenlegt.
Handwerklich ist das so gut gemacht, dass sich die Wiederholung eine Zeitlang als Innovation ausgeben kann. Auf die Dauer aber wirken diese Gedichte, die zu viele nur behauptete Gewissheiten aneinanderreihen, wie dekorative Fertigkost. In ihr drückt sich, in zeitgeistigem Vokabular, ein ähnlicher Konservativismus aus wie bei den Traditionalisten, nur freudloser. Dass die Texte zweidimensional bleiben wie die Welt, die sie verhandeln, folgt aus der Logik ihrer mimetischen Poetologie. Sie bildet ein homogenes Cluster aus Minimalbewegungen, an das nur noch das Ähnliche andocken kann.
Ron Winkler, der mit den Lebensformpoeten auf den ersten Blick manches gemeinsam hat – auch er huldigt dem lyrischen Wir, liebt die parataktische Syntax, ist geradezu neologismentrunken und hat eine Schwäche für Unbestimmtheiten –, hält seine Synapsenenden dagegen neugierig ins Offene. An bloßer mimetischer Verdopplung abgepackter Wirklichkeitsfasern ist er nicht interessiert. Und er unterliegt auch nicht dem Irrtum, Dichtung erschöpfe sich in der Verlabelung medial gefilterter Wirklichkeit. Er erfindet sich seine eigene, faltet die Sprache auf, hinein in einen Möglichkeitsraum, der nur noch seinem eigenen Referenzsystem gehorcht, das ihn mit seiner Unerschöpflichkeit ebenso zu überraschen vermag wie den Leser.
Im zuletzt erschienenen Band, »Frenetische Stille« (erschienen 2010 im Berlin-Verlag), hat Winkler den früheren Hang zu photoshop-bunter Tapetenpoesie zwar nicht gänzlich abgestreift, die lyrische Immanenz aber glücklich verlassen. Die Texte durchscheint eine Imago des Gedichts, ein Ideal der Gattung, erschaffen aus einem Eigensinn, der sich die Mittel zubereitet, nicht importiert. Den Leser ergreift da eine ästhetische Lust, die ihn nicht mehr vorwärtstreibt, einer Pointe zu, sondern verweilen lässt im Genuss des poetischen Überschusses.
Ähnlich lebendig wie Winkler, wenn auch von anderem Temperament, ist Steffen Popp. Ein schwermütiger Metaphysiker, ohne Scheu, seine Sensibilität zu zeigen, hier und da ein wenig pathosverliebt. Schon im ersten Band (»Wie Alpen«, Kookbooks 2004) hatte er seinen ganz eigenen Ton, der, ohne Vorabgewissheit und doch auf die eigenen sanften Kräfte vertrauend, sich einer vorwärtstastenden, mäandernden Bewegung überlässt, gleichsam über ihnen schwebend die Entstehung der Verse begleitet: »am Talgrund zog unter dem Eis / das Wasser meerwärts, in seiner Eigenzeit / nahm Steine mit, das Licht, ich / blieb, für mich / ein verwickeltes Umspannwerk –«, heißt es in »Winter, Kunst der Entfernung«.
Die Bereitwilligkeit, das Gedicht seine eigene organische Form finden zu lassen, ist im fertigen Text immer noch spürbar, verleiht ihm seine Transparenz und die Fähigkeit, den Leser in einen leichten klaren Schwindel zu versetzen. Popp ist ein Metamorphotiker, Kosmossehnsüchtiger (der zweite Band, »Kolonie Zur Sonne«, vier Jahre später im selben Verlag erschienen, zeigt es klar) – nur in den abschließenden anderthalb Versen erdet er sich zu oft. Als hätte er Angst, zu entschweben.
O elefantischer Pan im Porzellantrakt der Musen
hinter den Schleiern suchst du Gesang, übst dich
in Gedanken: »Wir sind ein Gespräch« sagst du, »Wir sind Elefanten«
und bist ganz allein mit diesen Sätzen
einsamer als Dialoge, Dickhäuter
einsamer als die Elektrogeräte des Weltalls
stromsparende Lampen, Wärmepumpen
verwahrlost und hungrig nach Liebe kommen sie
langsam heran aus dem unendlichen Dunkel
an deiner Raumkapsel, ihren geheimen Sprossen
an deinen klugen Händen und Knien
deinen schlafenden Füßen, geträumten Flügeln
reiben sie ihe Felle aus Chrom und Kunststoff.
Die angelernte Hilflosigkeit der Gegenstände
Unmöglichkeit einer Berührung
das Lied, unter seiner Nachtmütze aus Sternen
bewegt es den einsamen Boiler, den irrenden Ventilator
den irrendes Auge
auch
in eine Nestgemeinschaft ohne Strom
ohne Gedanken
nur gravitierende Körper, ihre beinahe
staatenbildende Panik vor dem Winter
Wie auch immer man die Anziehung, die ein Kunstwerk auf uns ausübt, nennen will, Reibung, ästhetischen Eigensinn, Geheimnis – erfahren wird er als eine Verrückung, eine Erschütterung unserer denkenden und fühlenden Beziehungen zur Welt. Die Qualität eines Gedichts (wie jedes Kunstwerks) bestimmt sich vor allem daraus: Ob es diese Erschütterung immer wieder neu herstellen, sie verwandeln, steigern kann, ob es, trotz der zunehmenden Vertrautheit im Detail, immer von neuem überrascht und irritiert.
Auf je eigene Weise haben Ann Cotten, Monika Rinck und Anja Utler solche lyrischen Räume geschaffen. Der von Cotten ist wild, anarchisch, überschießend, verspielt. Einer frühromantischen Ästhetik folgend, die immer das Unfertige dem Fertigen, das Fragment dem Werk, die Heterogenität der Homogenität vorgezogen hat, sind ihre Gedichte nicht Resultate, sondern Versuche.
Dass man das zunächst als unordentlich empfindet, liegt nicht daran, dass Cotten ästhetisch gescheitert wäre – es ist vor allem Ausdruck dafür, wie überfordert man beim Lesen ist. Das war nicht nur bei Cottens erstem Gedichtband, den 2007 erschienenen »Fremdwörterbuchsonetten« (Suhrkamp) so, die einer Neuerfindung der Gattung Sonett in Einzelgedicht wie Zyklus (Sonettenkranz) gleichkommen, sondern vor allem in den »Florida-Räumen«, die drei Jahre später Prosa und Lyrik kombinieren. Erst wenn man wiederholt liest, bilden sich allmählich die Wahrnehmungsstrukturen heraus, die in der scheinbaren Unordnung den hochkomplexen, alles andere als Willkür und Zufall gehorchenden Bau zu erkennen vermögen. »Wenn man (...) nicht erkennt, wie ein Werk sich wiederholt, dann ist dieses Werk beinahe buchstäblich unkenntlich und deshalb zugleich unverständlich. Es ist das Erkennen der Wiederholung, das ein Werk verständlich macht«, heißt es bei Susan Sontag. Allmählich Muster zu entdecken, herauszufinden, wie Mikro- und Makrostruktur verwoben sind – das verschafft Lust. Lesen und Schreiben, spürt man dabei, sind als schöpferisches Erleben verwandt.
Diese Lust findet man auch bei Monika Rinck – und in noch gesteigertem Maß. Was eine Vielzahl von Lyrikerinnen und Lyrikern im Einzelnen sucht, formal, tonal, thematisch, all das hat sie in ihren im letzten Jahr erschienenen »Honigprotokollen« (Kookbooks) zur Synthese geführt. Verblüffend und beglückend, wie mehrstimmig ihre Gedichte sind. Nirgendwo finden sich überraschendere, gelungenere Assonanzen, Konsonanzen, Alliterationen als bei Rinck, wie auch ihre Verbneologismen auf ganz neue Pfade verführen. Jedes Wort, jeder Vers, jeder Reim, jeder Klang ist mit dem ihm Benachbarten verknüpft, öffnet einen Sprachraum, in dem alles allem begegnet: die Tradition der Zukunft, der Ernst dem Humor, die Romantik der Klassik der Moderne, die Naivität der Analyse der Reflexion dem Hohn, die Poesie der Prosa der Poesie.
»Man macht Gedichte aus Gegenständen, zu denen / man zärtlich für die Zeit der eigenen Verschiebung«, schreibt Cotten in den »Florida-Räumen«. Dichten heißt aufmerksam sein für das, was sich ereignet. Und zwar nicht als teilnehmender Beobachter, sondern als Liebender. Die Liebe aber folgt keinen Regeln, sondern gibt sich eigene. Und der Dichter, der dem organischen Wachstum des schöpferischen Prozesses als Liebender gegenübertritt, ebenso. Er wird dann nicht die Sprache benutzen für das Gedicht, sondern die Sprache selbst zur Sprache bringen.
Anja Utler ist weder an Mimesis noch Fiktion interessiert, sie braucht keine Vergleiche, keine Metaphern, sie überlässt sich in ihrer Dichtung ganz den Klangbewegungen. Es »geschieht« nichts – außer in der Sprache. Der Leser aber erfährt gerade so, was Sprache ist: Speicher einer Körperlichkeit, einer Gewalt, die sich in ihrem Gebrauch offenbart. Wie in »marsyas, umkreist« oder »für daphne: geklagt« (aus »münden – entzüngeln«, einem Band der Edition Korrespondenzen von 2004). Hier öffnet sich der Gang durch das Unterholz in eine Erleuchtung:
dann: auffalten, alles, dem hals und dem
dickicht ins: holz dringen, weiter, sich
abzweigen: finger, vom brustkorb, und
bloß gelegt, ordnen, die adern sich:
neu bahnen, werden zu: ausläufern
– folgen – sie zeigen auf: röhricht auf:
fasrig auf: ins gestrüpp münden – sickern –
den rippen nach, ästeln, dazwischen
– inmitten – erzeugt sich: der teich
Utlers Gedicht erzeugt, wovon es spricht. Wir müssen uns nur für seine sprachliche Bewegung öffnen, uns seinem Klang überlassen, seiner syntaktischen Struktur, der Offenheit seiner Form, der Polyvalenz und Schönheit seiner Sprache sowie den Assoziationen, die sie in uns auslöst; wir müssen ihm nur vertrauen und uns den eigenen Gefühlen anvertrauen: Freude, Verwirrung, Begeisterung, Erschauern, Furcht. Es versetzt uns zurück an den Ursprung aller Dichtung, ihr Verwurzeltsein in Kult, Beschwörung, Magie. Macht aus uns, seinen Leserinnen und Lesern, exzentrischen Beobachtern, Erkunder von Relationen, Schwellenbewohner, durchlässig für neue Erfahrungen.
FAS Nr. 17, 28. April 2013, Feuilleton Seite 44