Wenn, nach Freud, die Neurose eine Krankheit der Schuld ist, dann scheint die Depression eine Krankheit der Verantwortlichkeit zu sein. Ihr Hauptmerkmal ist Verlust an Selbstachtung – sie ist eine Pathologie der Größe.
Die deprimierte Person ist der Aufgabe der Selbstwerdung nicht gewachsen. Sie wird von ihr zermürbt. An die Stelle der alten bürgerlichen Schuld und des Kampfs der Befreiung von der Gesetzesmacht des Vaters ist nun die Angst getreten, man könne möglicherweise seinen eigenen hohen Idealen nicht gerecht werden, wodurch ein Gefühl der Unfähigkeit und des Ungenügens entsteht.
Depression geht Hand in Hand mit der Demokratisierung des Außergewöhnlichen. Sie ist eine Begleiterscheinung der Forderung, nur man selbst zu sein, die unseren gegenwärtigen Begriff von Individualität wesentlich bestimmt.
Das depressive Ungenügen verhält sich zur Autonomie wie der neurotische Konflikt zur Disziplin.