Said »Das Rot lächelt, das Blau schweigt«

09.02.2007 Sprache/Meta

Said »Das Rot lächelt, das Blau schweigt«Rezension

Verkannte Stimmen
Saids Versuch, den Bildern Geschichten zu geben


Die Werke der bildenden Kunst lehren uns zu sehen. Aufmerksam zu sein für das, was unseren Augen begegnet. Und ihm Bewusstheit zu schenken. Jedes Kunstwerk erzählt uns: indem wir es betrachten, indem wir ihm Fragen stellen, assoziieren, von ihm fortgehen und zu ihm zurückkehren, nicht nur etwas über sich, sondern auch über uns selbst.

Es entspinnt sich ein Dialog, der viele Ebenen berührt: das Dargestellte, Gegenständliche (wenn denn das Bild nicht abstrakt ist); die Narration (vor allem bei den älteren Werken, in der ihr statischer Augenblick aufgehoben ist); die Leseanweisungen (zu der unter anderem der Titel gehört – wie anders betrachtet man ein Bild, wenn man weder Maler noch Titel kennt: unsicherer, aber auch wacher und naiver); die Farben und die Komposition; die Motivgeschichte; den symbolischen und allegorischen Gehalt; die Werkgeschichte und den Epochenbezug; die kunsthistorische Einordnung; die Biografie des Künstlers.

Und immer wieder während der Betrachtung kommen wir ins Erzählen, nicht zuletzt ins Erzählen unseres eigenen Betrachtens des Kunstwerks. Dieses Erzählen aber ist kein logisch stringentes, kein „Auserzählen“, sondern – wie unser Blick – ein Hierhin- und Dorthin-Streifen.

Sprechen Bilder?

Es ist schwer, von Bildern zu sprechen. Vielleicht will man ein Bild, das beschrieben wird, nicht sehen. Und umgekehrt. Sprache ist Bewegung, ist lineares Fortschreiten in der Zeit. Ein Bild ist Stillstand, Momentaufnahme, Simultaneität. Ein Bild zum Sprechen zu bringen hat etwas von der Quadratur des Kreises.

„Das Rot lächelt, das Blau schweigt“ ist ein Buch mit 44 Bildern – Gemälden, Zeichnungen, Radierungen, Lithographien, Aquarellen – von 44 Malern. Es sind sehr bekannte darunter (Hoppers „Nachtschwärmer“, „Maria Magdalena in Ekstase“ von Caravaggio, „Goethe am Fenster der römischen Wohnung am Corso“ von Tischbein, Friedrichs „Der Mönch am Meer“) und andere, die nicht zum Bildkanon gehören, der uns jeden Tag in Medien und Werbung vor Augen geführt wird, so dass wir bereits verlernt haben, ihn sehend auch wirklich wahrzunehmen.

Zu diesen Bildern hat der 1947 in Teheran geborene und seit 1965 in München lebende Said, der bereits eine Reihe von Gedicht-, Prosa- und Essaybänden veröffentlicht hat, „Geschichten“ geschrieben, um durch sie die Bilder „zur Sprache zu bringen“.

Geschwätzige Stimme für die Stummen

Aber eigentlich sind Bilder stumm. Dass die Tonspur fehlt, macht vielleicht einen ihrer Reize – und nicht den geringsten – aus. Wo aber die Bilder verschwiegen sind, sich dem Blick des Betrachters entziehen und sich einschnüren in ihr Geheimnis, wird ihnen in „Das Rot lächelt, das Blau schweigt“ eine Stimme an die Seite gestellt, die geschwätzig ist, eine Plaudertasche, die pathetisch aufgeblähte Platitüden von sich gibt. Häufig erinnern die eine Seite langen „Geschichten“ an Übungen in Schreibwerkstätten, wo man kurze Texte zu Kunstpostkarten verfasst, um die Phantasie wie ein junges Pferd frei galoppieren zu lassen.

Said weicht aus. Er spricht nicht selbst – über sein Erlebnis mit den Kunstwerken, seine Verbundenheit, seine Irritation –, sondern lässt sprechen: die Dargestellten – Frauen, Männer, Kinder –, die Künstler. Er legt ihnen Worte in den Mund, die jedoch nicht die ihren sind, nicht sein können, sondern seine, Saids. Da spricht jemand, der nicht der vom Bild sein kann. Es ist nicht seine Sprache.

Dazu ist sie fast durchgehend zu „bildungsbürgerlastig“, zu schwer, zu reflektiert, zu gestelzt. Etwa bei dem Bild „Bei der Kupplerin“ von Vermeer oder Rodins aquarellierter Zeichnung „Bacchantin“ – hier wären Stilübungen gefragt: in Schnoddrigkeit, Dialekt, Umgangs- oder Jugendsprache.

Peinliche Geschichten

Will man aber überhaupt, dass das Modell spricht und sich selber deutet? Die Differenz zwischen Betrachter und Betrachtendem geht dadurch verloren. Darin könnte auch ein Reiz liegen: Es ist gewissermaßen die Umkehrung der chinesischen Geschichte vom Maler, der in seinem Bild verschwindet – die Dargestellten verdoppeln sich, treten aus dem Bild heraus und betrachten nun sich selbst. Aber darin liegt auch ein Betrug. Denn sie haben eben kein Leben außerhalb des Bildes, sie sind nichts anderes als das, was der Künstler gemalt hat.

Ihre von Said erfundenen „Geschichten“ sind als Bildnarration so manches Mal nicht nur enttäuschend, sondern auch peinlich, weil die durch den Leser/Betrachter überprüfbaren objektiven Bildtatsachen nicht stimmen. So in dem Text zu Balthus’ Gemälde „Große Komposition mit Rabe“, in dem es heißt: „er schleppt eigens einen Tisch mit sich, damit er überhaupt zu mir aufsteigen kann“.

Der Männerakt, der dem Betrachter den Rücken zuwendet und in Richtung des Bettes mit dem lasziv sich spreizenden Mädchen blickt, das die Hand nach einem Raben ausstreckt, trägt jedoch keinen Tisch, sondern einen Käfig – was dem Dargestellten natürlich eine ganz andere Bedeutung gibt. Und auf der Februarminiatur des „Stundenbuchs des Herzogs von Berry“ sitzen in einem „offenen haus“ nicht „drei öffentliche damen“, sondern – eindeutig an den entblößten primären Geschlechtsorganen zu erkennen – zwei Frauen und ein Mann. Seit Jahrzehnten, so heißt es im Klappentext, habe sich Said mit den im Buch abgebildeten Gemälden und Grafiken beschäftigt – da hätte man sich gewünscht, er hätte genauer hingesehen.

Zu Hoppers „Nachtschwärmern“ schrieb Said einen Dialog – aber besser wäre, man hätte ihn nie gelesen: Wie viel weniger sagt er, als das Bild! Er reduziert es auf diesen Wortwechsel und tut so, als hätte sich etwas vollzogen, wäre etwas geschehen und an ein Ende gekommen, nachdem der letzte Satz gesprochen wurde – das Bild ist aber doch gerade das Gegenteil: das Einfrieren eines Augenblicks, ohne dass wir etwas vom Davor oder Danach wüssten – und je erfahren könnten (und wollten).

Oberflächliche Klischees jenseits des Maler-Ichs

Bei anderen Bildern lässt Said den Maler über sein Werk sprechen; aber man fühlt sich unwohl, denn man möchte doch eigentlich den wirklichen Maler zu seinem Werk hören und nicht dieses fingierte Künstler-Ich, das von sich behauptet, mit ihm identisch zu sein. Hat man die Briefe van Goghs oder die kunsttheoretischen Schriften von Marc oder Kandinsky gelesen, erscheinen einem Saids Texte oberflächlich und klischeelastig.

Sie sind nicht die Stimme des Malers, des Arrangeurs von Formen, Farben, Blicken, des Strippenziehers auf der Leinwand oder dem Blatt Papier, der die Summe aus seinem Bild zieht und es in eine komplizierte Rechnung verwandelt, deren Lösung im Unendlichen verborgen liegt. Sondern die des Dichters, der sich beim Schreiben über die Schulter blickt und sich dann anerkennend zunickt, als hätte erst er das Werk „vollendet“.

Darüber hinaus sind die subjektiven Deutungen zumeist leider nicht einmal für sich genommen, ohne Blick auf das Bild, gelungen – Stilbrüche, falsche Konjunktive, Wortwiederholungen stören. Zu Wolfgang Hildesheimers „Die Melancholikerin“ heißt es: „sie ist verhältnismäßig leicht zu züchten, die melancholie. ich blättere dann in den apostelgeschichten nach brauchbaren stacheln, bis die mauern ihre sprache wiederfinden. / nach mitternacht dient dann der alte traum, den ich von der kindheit herübergerettet habe ...“ Das zweite „dann“ – aber eigentlich das erste, wozu nur braucht Said es? – zerstört den Sprachbogen, seine Wiederholung lässt einen nur noch dieses „dann“ hören, während Bedeutung und Klang des Satzes verdeckt werden.

Schleier über die gescheiterte Sprache

Zum Glück entdeckt und begreift man, wenn man sich mit etwas beschäftigt, meist doch etwas – wenn auch häufig etwas anderes, als man sich erhofft oder erwartet hatte. Hier, bei Said, geht einem auf, wie sehr Sprache und Bild, obgleich sie uns so oft geschwisterlich begegnen, eigenständig, widerständig sind. Bei illustrierten Büchern siegt zumeist die Sprache über das Bild.

Denn wir überprüfen das Bild, als das Sekundäre, am Text, dem Primären, wir schenken dem Wort mehr Glaubwürdigkeit, lassen uns bei der Interpretation des Bildes durch die Sprache leiten. In „Das Rot lächelt, das Blau schweigt“ aber sind die Bilder stärker, die Illustrierung der Bilder durch die Sprache – von wenigen Ausnahmen abgesehen (etwa dem Text zu Klees „Revolution des Viaductes“) – scheitert. Und wir begreifen, dass jedes Kunstwerk doch immer einen Schleier über sich gezogen hat (einmal mehr, einmal weniger durchlässig für unseren Blick). Und dass es ihm – und uns – nicht bekommt, wenn wir ihn versuchen wegzuziehen, um das Bild „nackt“ zu sehen.


Said: »Das Rot lächelt, das Blau schweigt«. Geschichten über Bilder. Mit einem Nachwort von Uwe Fleckner. Verlag C. H. Beck, München 2006. 112 Seiten, 44 farb. Abb., 18 Euro


Die Berliner Literaturkritik, 9. Februar 2007

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