»Anfang der 1930er Jahre schrieb der 1886 geborene japanische Schriftsteller Jun’ichiro Tanizaki, der an der Kaiserlichen Universität Tokio englische und japanische Literatur studiert hatte und heute zu den Klassikern der modernen japanischen Literatur zählt, seinen langen Essay ›Lob des Schattens‹. Darin unternahm er, von den gedämpften Lichtverhältnissen in japanischen Häusern ausgehend, den Versuch, eine Ästhetik des fernöstlichen Landes zu schreiben. Das Buch genoss unter den Liebhabern des eleganten Minimalismus schon bald Kultstatus, und so ist es sehr erfreulich, dass der Manesse-Verlag diesem berühmten sanften Buch des großen japanischen Autors, der sich zeitlebens zwischen westlicher und östlicher Kultur bewegte, vom europäischen Ästhetizismus beeinflusst war und den von dort stammenden Realismus verabscheute, endlich seinen um weniges älteren Zwilling zur Seite gestellt hat.
In diesem zweiten langen Essay, der den Titel ›Lob der Meisterschaft‹ trägt, untersucht Tanizaki die Unterschiede zwischen östlichem Kunstverständnis, das die in langer Übung von Kindesbeinen an und unter Wahrung der Tradition erworbene Fertigkeit favorisiert, und der so anders gearteten, an den Genie- und also Originalitätskult gebundenen westlichen Kunstauffassung, die die Tradition verachtet und sich immerzu neu zu erfinden sucht. Insbesondere Theater- und Filmfans kommen bei der Lektüre auf ihre Kosten, stützt sich Tanizaki bei seinem Vergleich doch auf viele Beispiele aus dem Bereich des japanischen Kabuki-Theaters und des europäischen Stummfilms. Dabei sieht er zum Teil erstaunliche Parallelen im Spiel der großen Darsteller, insbesondere die deutschen Stummfilmstars Paul Wegener, Emil Jannings und Werner Krauß, denen Übung und Handwerk mehr bedeute als Neuerungssucht, preist er und stellt sie den japanischen Meistern der Bühne an die Seite, wohingegen er die Gefall- und Neuerungssucht Chaplins ablehnt.
Erfüllung der Form versus Erfindung, Tradition versus Neuerungssucht, Handwerk versus Kunst, so ließe sich die Grundthese des Buches formulieren. Dass es über diesen schlichten Antagonismus weit hinausgeht, verdankt sich der subtilen Darstellung, den verblüffenden Beispielen und dem schlichten Stil Tanizakis, der in diesem Text nicht nur eine Positionsbestimmung japanischer Kunst und also japanischer geistiger Identität im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts versucht, sondern auch eine oft überraschend einleuchtende, verblüffend überzeugende und stellenweise sehr komische Kritik der westlichen Kunstavantgarden gibt.«
Jun’ichiro Tanizaki: »Lob der Meisterschaft«. Aus dem Japanischen übersetzt und kommentiert von Eduard Klopfenstein. Manesse Verlag, 144 Seiten, 14,95 Euro
kultiversum, 16. November 2010