»Eine Landschaft als Sprache lesen, in der Sprache die Landschaft finden. So ließe sich die Poetologie des neuen Gedichtbandes von Lutz Seiler, ›im felderlatein‹, skizzieren. Lutz Seiler agiert darin als Sprachzimmermann, der die Strommaste und Bahngleise, die hohen Kiefernbäume und die tiefe Linie des Horizonts, die schmalen Halme der Gräser am Wegrand und die harten Platten der Gehwege – die Horizontalen und Vertikalen der Landschaft also – zu Bausteinen seiner Gedichte macht, aus ihnen das Fachwerk seiner Verse zimmert.
Eine stille, leere Welt ist das. Von Spuren durchzogen, die wie die Furchen zwischen den Wörtern hingehen durch die Sprache, die Hügel und Felder des Gedichts. Es sind alte Spuren – Tote, Untote, Wiedergänger haben sie hinterlassen. In ihrem Schatten tauchen die Erinnerungen an die Kindheit auf, die Mutter vor allem und die erste unerfüllte, unerreichbare Liebe, ›aranka, die / aus den kniekehlen gesungen hat‹. Und an die Zeit, als Seiler, Jahrgang 1963, bei der Nationalen Volksarmee diente und mit dem Dichten begann.
Von diesem ›fernsprechrauschen‹ der Vergangenheit wird Seiler jedoch leider allzu oft dazu verführt, das, wovon die Rede ist, zumeist ganz Einfaches, Alltägliches, ins Archaisch-Erhabene zu vergrößern. Er kann dann der alten, altbekannten Versuchung der Dichter nicht widerstehen, dem konkreteren, sinnlicheren Ausdruck einen vermeintlich poetischeren vorzuziehen, oder er greift zu einem Abstraktum – worüber die Bilder unscharf werden und der Leser aus dem Spurenlesemitgang kippt. Gar nicht selten ergibt sich so eine Duftpoesie, die an die künstlichen Gerüche einer Parfümerie erinnert, nicht aber an die Würze und, ja, auch den Gestank des Landes.
Der Lesegenuss ist also durchwachsen. Aber neben den Gedichten, denen man eine größere Klarheit und Durchsichtigkeit gewünscht hätte, eine Präzisierung auf ein bestimmtes Ding, eine bestimmte Person hin, neben den Gedichten, die einen etwas mühsam ›in der bogenschrift des ackers‹ gehen lassen, sind da eben auch einige ganz leichte, luzide.«
Lutz Seiler: »im felderlatein«. Gedichte. Suhrkamp Verlag, 102 Seiten, 14,90 Euro
kultiversum, 26. November 2010