Günther Emig / Peter Engel (Hg.) »Hammer + Veilchen – Das Jahrbuch«

09.04.2015 Sprache/Meta

Günther Emig / Peter Engel (Hg.) »Hammer + Veilchen – Das Jahrbuch«Rezension


Die große Kunst der kleinen Form
Günther Emig und Peter Engel versenden Flugschriften für neue Kurzprosa


Die kurze Form hat es nicht leicht. Ein Gedicht findet noch Anerkennung. Wenn es auch nur selten und von wenigen gelesen wird, die Gattung wird respektiert. Erzählende Kurzprosa dagegen führt im derzeitigen Literaturbetrieb weniger als ein Schattendasein.

Das wollen Günther Emig und Peter Engel, die beiden Herausgeber der »Flugschriften für neue Kurzprosa«, ändern. Unter dem Namen »Hammer+Veilchen“ geben sie vier Mal im Jahr Kurzprosa heraus. Die kann man gedruckt auf Papier, als PDF oder als eBook-Version bestellen und auch abonnieren; zweimal im Jahr gibt es zudem das sehr günstige Jahrbuch (5 Euro plus 1 Euro Versand) – das die Texte von je zwei Ausgaben enthält (und also eigentlich ein Halbjahrbuch ist). Da werden die Flugschriften schon ein Büchlein.

Das erste liegt jetzt vor. Und woran es beim Start einer Sache nie fehlen darf, sind Ankündigung und Programmatik. Emig und Engel hantieren da gleich mit den ganz großen Namen, Nietzsche mit seiner aphoristischen Hammer-Philosophie gibt den halben Titel, Hebel und sein Schatzkästlein sind da, Kafkas Axt, die das gefrorene Meer in uns aufbrechen soll, und Kleists Anekdoten – und das alles für einen Kalauer, der die zweite Titelhälfte erklärt: Wer mit dem Hammer um sich schlägt, erntet blauumfärbte Augen – Veilchen, die aber auch duften können sollen. Wie? Das bleibt das Geheimnis der Herausgeber. Beziehungsweise der von ihnen edierten Texte.

»Falsche Zungenschläge, sprachliche Flauheit, dumpfer Biedersinn und platte Alltagsverfallenheit« sind, so die beiden in der Ankündigung, tabu. Auch »Verstiegenheit und gesuchte Originalität«, »thematische Langeweile, Längen ohne Not und übertriebene Kürze, wenn es dadurch an Würze mangelt« wollen Emig und Engel nicht haben. Anspruch und Vorbilder sind also klar. Wie und ob das umgesetzt wird, kann kein Editorial klären, das müssen die Texte beweisen, und die muss man lesen. Die erste Ausgabe enthält Prosa von zwanzig Autorinnen und Autoren, Länge eine halbe bis fünf Seiten. Quantitativ stimmt also schon mal alles.

Die Qualität dagegen ist, wie könnte es anders sein bei einer Anthologie, durchwachsen. Bei der kleinen Form ist man als Leser noch anspruchsvoller, ungeduldiger, unbarmherziger. Es bleibt kein Raum für Einleitendes, für Umwege oder dafür, als Autor später etwas gutzumachen, jedes Attribut zu viel, jedes »nun« oder »dann« fällt auf, stört, beschwert. Aber auch zu weit getriebene Magerkeit befriedigt nicht. Die kleine Form ist eine große Kunst. Es braucht eine gute Idee. Es braucht Rhythmus. Wechsel von langen und kurzen Phrasen. Absatzpointen. Schlusspointe. Dialoge voller Komik, Überraschungen. Sensationelle Metaphern, die nichts Maniriertes haben. Das Schwierigste aber ist wohl, dass die Geschichte, obwohl sehr kurz und ihrem Ende entgegentreibend, ein Ewigkeitsgefühl erzeugen muss. Beim Lesen muss man ganz in ihr leben, sich ihren Bedingungen unterwerfen, alles akzeptieren und genießen und Zeit und Raum um sich vergessen.

Das gelingt ein paar der AutorInnen. Mirko Bonné schreibt über einen Anruf Stalins bei Pasternak, nachdem dessen Freund Mandelstam verhaftet wurde. Super Spannungsbogen, wahnwitziger Dialog am Telefon. Die Geschichte hat nur einen Haken: Wer nichts von Stalin, Pasternak, Mandelstam und der historischen Situation weiß, kann die Dimensionen der Angst, die sich beim Telefonat auftun, nicht ermessen. Frage: Muss eine gute Geschichte ihre eigenen Voraussetzungen miterzählen?

Alexander Posch schreibt über eine Frau, die Alzheimer und ihre Erinnerungen verloren hat, jetzt sitzt sie im Heim und wird vom ehemaligen Nachbarn mit seinen Kindern besucht – eine Geschichte über Leben und Tod und den Sinn des menschlichen Daseins, vor allem wegen der Kinderstimmen lesenswert, aber so mancher Satz hätte verknappt oder ganz gestrichen werden können. Herbert Hindringer hat eine schöne schnörkellose absurde Geschichte über lauter Ungenügend-Lebensrollen geschrieben, ohne Erklärungen abzugeben und trotzdem vollkommen plausibel und nachvollziehbar. Eine Geschichte, die nicht versteckt, dass sie komponiert und Literatur ist und sein will, das aber ganz schlicht hinbekommt.

Bei Carsten Klooks »Vier Texten« ist die Idee meist erst mal gut, aber dann fällt ihm am Ende nichts Originelles ein und er stiehlt sich mit den bekannten Schlussakkorden davon. Bei Sascha Preiß dagegen stimmt alles: Kein Wort zu viel, Humor, Balkan-Feeling, die Absurdität des Krieges, das alles eingefangen auf zwei Seiten hauptsächlich indirekt wiedergegebenen Dialogs und fortissimo durchgehalten bis zum Schluss. Das will man dann gleich noch mal lesen – oder auch hören (das wäre übrigens eine schöne Idee, die Texte einzulesen und auch als Podcast anzubieten), so gut durchkomponiert ist das.

Die kleine Form erlaubt keinen Wechsel, kein zweites Thema, schon zwei Stimmen oder Perspektiven sind oft zu viel. Was sie verlangt, ist ein Blick auf die Welt und die Menschen aus einer Richtung, durch einen Schlitz, Spalt oder von einem Hausdach herab, wie noch keiner geblickt hat, geradeaus und doch ein wenig verzogen, verzerrt. Mit der Sprache könnten die AutorInnen mutiger hantieren, was auch heißt: genauer. Viele Füllsel-Wörter könnten gestrichen werden. Das wäre auch Aufgabe der beiden Herausgeber-Herren: ein liebevolles, aber strenges Lektorat. Die kleine Prosa-Form setzte der deutschen Literatur immer mal Glanzpunkte auf. Das könnte wieder gelingen – die Vertriebsformen sind günstig wie nie: eBook, Podcast, PDF-File. Einsendungen sind übrigens willkommen.


Günther Emig, Peter Engel (Hg.): »Hammer + Veilchen – Das Jahrbuch«. Flugschriften für neue Kurzprosa. hammer+veilchen 2014, 80 Seiten, 5 Euro

fixpoetry, 9. April 2015

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