Ich will nicht so tun, als sei meine Position vergleichsweise einfach. Wir sind in diesem Zeitalter Überlebende, deshalb stehen uns Fortschrittstheorien kaum zu, weil wir mit ihren Kosten sehr intim vertraut sind. Die Einsicht, daß man ein Überlebender ist, ist ein Schock. Bei der Erkenntnis, ein derart Auserwählter zu sein, möchte man in Tränen ausbrechen. Wenn die Toten ihres Weges gehen, möchte man sie anrufen, aber sie entschwinden in einer schwarzen Wolke von Gesichtern, Seelen. Sie strömen als Qualen aus den Ausrottungsschornsteinen und lassen uns im hellen Licht des historischen Erfolgs zurück – im technischen Erfolg des Westens. Dann weiß man es mit einem Knall des Blutes, daß die Menschheit ihr Ziel erreicht – in Glorie ihr Ziel erreicht, wenn auch durch die Explosionen des Blutes betäubt. Durch entsetzliche Kriege geeint, in unserer brutalen Dummheit durch Revolutionen und durch von ›Ideologen‹ gelenkte Hungersnöte unterwiesen (Erben von Marx und Hegel und in der List der Vernunft geübt), haben wir, die moderne Menschheit (kann es sein!), vielleicht das fast Unmögliche getan, nämlich etwas gelernt. Du weißt, daß der Verfall und die Vernichtung der Kultur sich heutzutage weigern, dem Vorbild der Antike zu folgen. Die alten Reiche sind zwar zertrümmert, aber dieselben Mächte von einst sind wohlhabender als je zuvor. Ich sage nicht, daß der Wohlstand Deutschlands ein besonders erfreulicher Anblick ist. Aber er ist da, keine zwanzig Jahre nachdem der dämonische Nihilismus Hitlers ihn zerstört hat.
Saul Bellow, Herzog. Roman