Den Großteil der Schriften haben wir verloren. Wir haben auch die Wörter verloren, die aufgeschrieben wurden, ganz zu schweigen von denen, die nie aufgeschrieben wurden. Welch großer Verlust, wenn Sie bedenken, junger Mann … Denken Sie also daran, dass es nichts gibt im Vergleich zu dem, was wir schon alles verloren haben. Alles, was wir besitzen, kann nur im Licht der unermesslichen Verluste gesehen werden, die uns treffen. Und so gesehen wird klar, dass unsere Lage eher verzweifelt ist, als auch nur zum geringsten Optimismus Anlass zu geben. Und trotz alledem, und Sie wissen das am besten, trotz alledem müssen wir hoffen, schließlich wären auch Sie nicht hergekommen, wenn Sie nicht hofften, wenigstens auf irgendeine Antwort, wenn schon auf nichts anderes, auf eine Antwort, dass wir das Volk der Hoffnung sind … Wissen Sie, ich habe mein ganzes Leben darauf gewartet, jemandem erzählen zu können, dass die Hoffnung ist wie unsere Fähigkeit zu vergessen. Beide sind ein großes und gewichtiges Wissen, das aber uns Juden am wenigsten gegeben ist. Das Vergessen, meine ich. Sie sollten es niemals vergessen. Obwohl ich es Ihnen, ich lese es in Ihrem Gesicht, nicht ans Herz legen muss. Schreiben Sie alles auf, ich bitte Sie, schreiben Sie immer alles auf. Und lesen Sie all das dann immer wieder von neuem, mit der ganzen Seelenkraft, und versuchen Sie, den Sinn des Geschriebenen zu erfassen. Auch unsere Meister haben es in den Jahrtausenden so gemacht. Von ihren Aufzeichnungen ist nichts geblieben, und von Ihren wird einst nur ganz wenig bleiben, doch immer noch genug, viel zu viel, um die Menschen zu verwirren, und zweifellos zu wenig, um ihnen Halt zu geben. Alles Schreiben führt ins Nichts, vergessen Sie das niemals.
Szilárd Borbély: Kafkas Sohn. Prosa