Literatur Eine kleine Familiengeschichte inmitten des großen Umbruchs nach dem Krieg erzählt Péter Nádas in seinem jetzt auch auf Deutsch veröffentlichten Erstling »Die Bibel« (Berlin-Verlag, 95 Seiten, 18 Euro): Großeltern, Eltern, ein Kind, die in einer Villa auf dem »Hügel« in Budapest leben, die Eltern sind hohe Funktionäre, die, Revolution und Sozialismus zuliebe, ihren Sohn vernachlässigen, ihm zwar am Abend heiße Suppe geben, bis er satt ist, ihn emotional aber verhungern lassen. Man kennt diese Freiheit, die schmerzt und von Gleichgültigkeit kaum zu unterscheiden ist, aus der bürgerlichen Literatur, sie macht aus Kindern Voyeure, Lügner, Sadisten. Und dass sie in der neuen Gesellschaft, die doch das Wohl aller befördern soll, fortexistiert und in dem Jungen eine aus Langeweile geborene, zur Grausamkeit neigende Energie freisetzt, davon erzählt Nádas in beunruhigend ruhigem Ton – und zeigt hinter dieser Grausamkeit immer die so überaus kühl und korrekt agierenden Erwachsenen, die erstarrt sind in der Überzeugung, das Richtige zu tun.
FAS Nr. 53, 3. Januar 2010, Feuilleton Seite 22