Rebecca Solnit »Wenn Männer mir die Welt erklären«

31.07.2016 Sprache/Meta

Rebecca Solnit »Wenn Männer mir die Welt erklären«Rezension


Wirklich geboren werden heißt sich gebären
Rebecca Solnit hat keine Lust mehr auf Männer, die ihr die Welt erklären


Jeder kennt diese geselligen Runden, in denen Männer das Wort führen und Frauen als Zuhörerinnen dabeisitzen, in denen Frauen, die sich äußern, mitten im Satz unterbrochen werden, ihnen über den Mund gefahren wird, ihre Argumente nicht gehört werden, in denen von Männern Sätze fallen wie, ich muss XY (weiblich, also besser: XX) recht geben, als stünde es den Männern zu, den Frauen zu sagen, ob sie recht oder unrecht hätten, als wären allein sie im objektiven Besitz der Wahrheit und zufällig hätte da auch mal eine Frau ein Häppchen erwischt und zum Besten gegeben, was der Mann also herablassend-wohlwollend anerkennt. (Leider) Etwas eher, als man (Mann) selbst dazu kam.

Jeder kennt diese geselligen Runden. Jeder?

Nein. Sicher nicht. Wenn „kennen“ nicht bloß dabeisitzen heißt, sondern spüren, erfahren, erleiden, was vor sich geht. Ich bin mir nicht sicher, ob Männern – Männern, die sich bei solchen Gelegenheiten auch in der Rolle des Zuhörenden befinden (gewollt oder gedrängt) – dieses Ungleichgewicht auffällt. Ich habe einige gefragt. Eher mit negativem Ergebnis. Und wenn mit positivem: Dann wurde nicht das Strukturelle an der Situation gesehen, das sich wiederholende Muster, sondern der Fall individualisiert. Dieser oder jener neige eben zum Dozieren. Keinesfalls aber sei das eine generell männliche Angewohnheit, gar Eigenschaft.

Nicht jeder also kennt das Mundtotgemachtwerden, Gedemütigtwerden. Nicht jeder – aber wohl: Jede.

Denn Hunderte, Tausende solche Erlebnisse hat jede Frau. Für eine von ihnen, die renommierte Autorin Rebecca Solnit, war eine solche Erfahrung der Anlass, einen Essay mit dem Titel „Men explain Things to Me“ zu schreiben, der auf TomDispatch, einem unabhängigen politischen Onlinemagazin, veröffentlicht wurde und wie eine Bombe einschlug. In zahlreichen Kommentaren berichteten Frauen von ihren demütigenden Erfahrungen im Akademiebetrieb, wie sie kleingemacht worden waren, wie man ihre Argumente überhört, ihnen das Wort abgeschnitten oder sie gar nicht erst hatte zu Wort kommen lassen. Und es entstand ein neues Wort für das beschriebene Phänomen: mansplaining.

Solnit hat in ihrem Essay aber nicht nur amüsant die Situation beschrieben, wie ihr der Gastgeber eines Abendessens das von ihr geschriebene Buch über den Fotografen Eadweard Maybridge empfahl, das er nicht mal gelesen hatte, sondern nur aus einer Rezension in der „New York Times Book Review“ kannte, und Solnits Begleitung ihm dreimal sagen musste, dass sie, Solnit, die Autorin sei, ehe er reagierte – vielmehr nahm sie diese lächerliche Geschlechterposse mit „Mr Wichtig“, wie sie ihn nennt, zum Anlass, darüber nachzudenken, weshalb Frauen immer wieder ähnliche und schlimmere Erfahrungen der Zurücksetzung, Demütigung und Diskriminierung durch Vertreter des anderen Geschlechts machen, die, in anderen, gewichtigeren Kontexten, über Lebensweg und sogar das Leben von Frauen entscheiden.

Denn sie betreffen nicht nur die Frage, ob und wenn ja welche Schule Mädchen besuchen (dürfen), sondern auch, wie sie in Konflikten und vor Gericht behandelt werden. Wen sie heiraten (müssen) (den Mann, der sie vergewaltigt hat), ob und was sie studieren, was und wie viel sie essen (dürfen), ob und wohin sie reisen, was und wo sie arbeiten, wann und wie sie sterben. Schnell geht es bei Solnit nicht mehr um Abendessen mit vor sich hin schwadronierenden Männern, sondern um Vergewaltigungen, Körperverletzungen und Morde, denen weltweit jedes Jahr Millionen Frauen zum Opfer fallen.

Das größte Problem dabei, diese Missstände überhaupt erst mal sichtbar zu machen, sie aufzuklären und in der Zukunft zu verhindern, ist, so Solnit, dass Frauen nicht angehört werden und falls doch, dass ihre Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen wird. Zudem findet die gegen sie ausgeübte verbale und körperliche Gewalt häufig im Intimen, Privaten statt, in der Familie, innerhalb der eigenen vier Wände. Das ist eine grundsätzliche Schwierigkeit, der sich der Kampf der Frauen um Gleichberechtigung ausgesetzt sieht: dass sie mit ihrem „Feind“ zusammenleben, Tisch und Bett mit ihm teilen. Der „Feind“ nämlich ist nicht der Unbekannte von der Straße, sondern ihr Vater oder Stiefvater, ihr Bruder, ihr Partner, ihr Onkel, ihr Cousin, ihr Nachbar, ihr Sohn. Und dann, in dem etwas weiteren Bereich von Erziehung und Pflege, ihr Lehrer, ihr Arzt, ihr Richter, ihr Beichtvater, ihr Therapeut. Die Zeiten, in denen Autoritäten fast ausschließlich männlichen Geschlechts waren, sind, in der westlichen Welt, noch nicht lange vorbei. Fast die gesamte Menschheitsgeschichte hindurch wurden Frauen von Männern aus- und abgehorcht, unterrichtet, verurteilt. Selbst als Liebesobjekt waren sie weniger wert als der Mann, hatten sich seinen Wünschen zu fügen. Waren sie in die passive Rolle gedrängt, während der Mann die aktive übernahm, wurden sie kontrolliert, während er kontrollierte. Und wenn sie dagegen rebellierten, wurden sie geschlagen, eingesperrt, getötet.

Solnit unterstützt ihre Thesen mit Statistik, und die ist wahrlich erschütternd: Fast zwei Drittel aller mit Waffen getöteten Frauen in den USA werden von ihren Partnern oder Expartnern getötet. Alle 6,2 Minuten wird in den USA eine Frau vergewaltigt, das sind allerdings nur die gemeldeten Fälle – die geschätzte Dunkelziffer liegt etwa fünfmal so hoch. Die Haupttodesursache von schwangeren Frauen in den USA sind die Ehemänner. Für Frauen zwischen 15 und 44 ist die Gefahr, durch männliche Gewalt zu sterben oder verstümmelt zu werden, weltweit größer als durch Krebs, Malaria, Krieg oder Verkehrsunfälle zusammengenommen (Quelle: Nicholas D. Kristof).

Frauen kämpfen immer an zwei Fronten, betont Solnit – „einmal für oder gegen eine spezifische Sache und einmal schlichtweg für das Recht, ihre Meinung zu äußern, Ideen zu haben, als jemand anerkannt zu werden, die über Faktenwissen und Erkenntnisse verfügt, einen Wert hat, ein Mensch ist“. Jemand, die das gleiche Recht auf „Leben, Freiheit und Partizipation in der kulturellen und politischen Arena“ hat – das heißt auch: sichtbar wird im öffentlichen Raum als die Stimme erhebendes, handelndes Subjekt.

Das ist das feministische Programm, das neben der Befreiung der Frauen immer die Befreiung oder Emanzipation des Menschen gefordert hat. Denn erst, wenn die Männer nicht mehr den Wunsch oder Drang verspüren, Frauen zu unterdrücken und ihnen Gewalt anzutun, sind auch sie frei.

„Die Emanzipation der Frau wurde oft als Bewegung dargestellt, die darauf abzielt, die Macht und Privilegien von Männern zu beschneiden oder sie ihnen ganz wegzunehmen, als handelte es sich um ein armseliges Nullsummenspiel, bei dem immer nur ein Geschlecht frei und mächtig sein kann. Aber wir sind entweder gemeinsam frei oder gemeinsam unfrei. Wer glaubt, er müsse gewinnen, dominieren, bestrafen und uneingeschränkt herrschen, ist mit Sicherheit alles andere als frei. Dieses vergebliche Streben aufzugeben, muss eine Erlösung sein.“


Es ist schwer, dieses Buch zu besprechen als Frau, ohne an Eigenes zu denken. An eigene Erfahrungen mit dominanten, selbstherrlichen Männern, an Kränkungen und Frustrationen, an Wut und Resignation. Aber dabei sollte man nicht stehen bleiben. Auch Solnit bleibt nicht dabei stehen. Fast am Ende des Bandes findet sich ihr Essay über Virginia Woolf, der sich anschaut, wie Woolf mit Sprache umgeht, welche emanzipatorische Kraft Sprache haben kann, das Schreiben – über den eigenen Körper. Denn interessanterweise macht Woolf in ihrer Rede „Berufe für Frauen“, auf die Solnit sich bezieht, klar, dass über den weiblichen Körper geschrieben werden muss, um Klarheit darüber zu bekommen, was eine Frau ist, ohne die Zuschreibungen, die sie unkenntlich gemacht haben. Zunächst muss die Verschleierung, die tatsächliche und die verbale fallen, und dann muss behutsam, aufmerksam erkundet werden, was da zum Vorschein kommt. Wie sich so ein Körper anfühlt, wie er lebt, wie er denkt, empfindet und agiert.

Dafür eine Sprache zu finden, zu schaffen ist die Aufgabe. Sie ist auch jetzt, so viele Jahrzehnte nach Woolfs Rede, erst zum Teil gelöst. Es fehlen noch immer die Worte für viele Regungen, Empfindungen, selbst für Körperteile. Aber die Frauen sind auf dem Weg. Sie suchen, und sie führen einen Dialog. Sie lauschen auf die Stimmen, die aus ihrem Inneren kommen, und auf die, die ihnen die Literatur zuträgt, bewegen sie in ihren Herzen, stärken sich an ihnen. Jede genaue Beobachtung, subtile Beschreibung, jede poetische Wahrheit hilft ihnen auf ihrem Weg, wirklich geboren zu werden – als freie Menschen.


Rebecca Solnit: »Wenn Männer mir die Welt erklären«. Aus dem amerikanischen Englisch von Kathrin Razum und Bettina Münch. Mit Bildern von Ana Teresa Fernández. Hoffmann und Campe 2015, 173 Seiten, 16 Euro

fixpoetry, 31. Juli 2016

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