Dunkler Enthusiasmo
Pasolini. Vor 34 Jahren wurde der italienische Autor Pier Paolo Pasolini ermordet. Jetzt sind seine »Friulanischen Gedichte« in einer atemberaubenden Übersetzung erschienen
»Pasolini war ein Mann der Leidenschaften. Und eine seiner Passionen gehörte der bäuerlichen Welt, dem Friaul, Casarsa, dem Herkunftsort der Mutter, in dem er wurzelte und zu dem er so gern ganz und gar gehört hätte – und aus dem er ausgeschlossen war aufgrund der bürgerlich-väterlichen Herkunft, seiner Bildung wegen und auch wegen seines Wunsches, ein Dichter zu sein.
(...)
1954 veröffentlicht Pasolini unter dem Titel La meglio gioventù eine große Sammlung seiner Dialektgedichte, in der er sie zu einer Art Entwicklungsgeschichte des lyrischen Ichs ordnet (...) – und dann, 1975, erscheint, aus der Angst heraus, ›nicht alles gesagt zu haben‹, als letztes Buch zu seinen Lebzeiten, eine Überarbeitung, Weiterverarbeitung, Wiederholung mit dem Titel La nuova gioventù.
Eine resigniert-stolze Negation und Hoffnung wider alle Hoffnung ist dieser zweite Versuch, ein Hinauswachsen des Dialektes aus seiner verschwundenen Umgrenzung in die zugewachsenen sprachlichen Versatzstücke der politischen, der technischen, der medialen Kommunikation. Die dann, im gänzlich neu hinzugekommenen letzten Teil „Tetro entusiasmo‹, zu einem dominierenden marktkonformen Jargon gerinnen, in dem einzelne, im Dialekt geschriebene Verse nurmehr wie einsame Inseln treiben. Und es ist fraglich ob sie, als verlorene Paradiese, neu entdeckt, neu besiedelt werden können, ob sie nicht zu Utopien geworden sind und nur noch in der Sprache bereisbar.
Die beiden Fassungen der ›gioventù‹ sind nun in einer zweisprachigen und alle Varianten berücksichtigenden Ausgabe erschienen, und zwar in einem Pasolini ganz und gar angemessenen knallroten und preisverdächtig schön gesetzten Band.
Jeweils auf einer Doppelseite sind beide Fassungen einander gegenübergestellt, klein das friulanisch-italienische Original, groß die Übersetzung von Christian Filips. Und diese Übersetzungen, für die ja im Deutschen auch erst eine Sprache erfunden werden musste, sind atemberaubend.
Filips, noch keine dreißig, selbst Dichter und Preisträger unter anderem des Rimbaud-Preises, zieht alle Register von Mittelhochdeutsch über Lutherisch zu Hofmannsthal- und Trakl-Ton, nutzt Sozio- und Dialekte, Journalisten- und Fachsprachen – und instrumentiert den Band für die deutschsprachigen Leser, dass, von einer Übersetzung zu sprechen, underunderstatement wäre.
Gerade im letzten Teil, ›Tetro entusiasmo‹ – ›Dunckler Enthusiasmo‹, nach dem der ganze schöne Band benannt ist, der mit dem Gedicht Agli studenti greci, in un fiato (Zu griechischen Studenten, in einem Atem) beginnt, zeigt sich die unglaubliche sprachliche Begabung von Filips: Wie er da von der alten Sprachstufe ins Vulgär-Gegenwärtige wechselt, wie er (Binnen-)Reime baut, Assonanzen streut, Vokalfarben setzt, metrisches Gespür beweist, die Varianten variiert – da möchte man immer mal wieder aufjubeln beim Lesen, und hofft und wünscht, dass ihm noch so manche Übersetzung anvertraut wird.«
Der Freitag, 2. November 2009
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