»Als die gelungenste Weltausstellung aller Zeiten machte die Exposition Universelle de Paris von 1889 mit mehr als 32 Millionen Besuchern, 62 000 Ausstellern aus 54 Ländern und 17 französischen Kolonien Geschichte. Der Eiffelturm, der anlässlich der Ausstellung erbaut wurde, wurde zum Wahrzeichen der Stadt und erinnert bis heute an die berühmteste Schau des 19. Jahrhunderts.
Ein Zufallsfund bringt diese Weltausstellung nun zurück vor unsere Augen. Im Stadtarchiv von Luzern fand Beat Wyss zwei Bände, in denen die zur Weltausstellung erschienene Zeitschrift ›Journal‹ gesammelt worden war. Ein ›Denkmal der Mentalitätsgeschichte‹, nennt Wyss diese reich illustrierten Blätter, von denen er nun eine reiche Auswahl präsentiert, nach Schwerpunkten geordnet und um historische, soziologische, anthropologische, technische Ausführungen bereichert.
Die Weltausstellung sei, so Wyss’ Grundthese, ein ›historisches Modell, das die globalen Verflechtungen moderner Industriekultur in Szene setzt‹. Dass die Globalisierung im 19. Jahrhundert gehörig an Fahrt gewann, beweisen nicht nur Dampfschiffe und Eisenbahn, die zu Massenverkehrsmitteln wurden und die Entfernungen schrumpfen ließen, sondern zeigen auch die aufgefundenen Blätter – denn auf den Bildern erscheinen Menschen, Waren, Natur- und Kunstschätze der ganzen Welt.
Die ganze Welt zu Füßen des Eiffelturms versammelt, wenn das kein Wunder war! Ganze Straßenzüge, Städte wurden nachgebaut, Dörfer verpflanzt, Paläste errichtet. Exotik war überaus beliebt, und insbesondere der Orient erschien, wie das Klischee verlangte, wie in einem ›Märchen aus tausend und eine Nacht‹. Positiv verstanden war das ein gegenseitiges Lernen, Profitieren vom Wissen der anderen, ein Technologie- und Kulturtransfer. Kritisch betrachtet zeigt sich jedoch, dass der Schau Hierarchie und Perspektive eingeschrieben waren. Die Überlegenheit des Westens, seiner Kultur, Technologie, Rasse beherrschte den Blick des einen auf den anderen. Als ob die Exotik nur in eine Richtung wirke, bestimmte der Westen selbstverständlich die Rolle des Betrachtenden für sich, und wurde kaum einmal in die selbstreflexive Versuchung geführt, den Blick umzukehren und sich mit den Augen der Ausgestellten zu sehen.
Der Blick, den man aussendet, findet aber seinen Weg zurück. Beat Wyss gelingt es mit seinem Buch vorzüglich, beide Wege, Blickachsen sich kreuzen zu lassen: den arrogant- naiven der Ausstellungsbesucher im Paris des Jahres 1889 und den durch die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts gegangenen, der weiß, dass die Verwestlichung der Welt nicht ohne eine Orientalisierung des Westens einhergeht, dass das Bild von der Zukunft nicht mit der Geschichte zu verwechseln ist, dass die Nachfahren der Kolonisierten an die Tore von Paris klopfen (werden).«
Beat Wyss: »Bilder von der Globalisierung – Die Weltausstellung von Paris 1889«. Insel Verlag, 285 Seiten, 49,95 Euro
kultiversum, 9. Dezember 2010