Ohne ihr Lachen hätte es sie nie gegeben
Das Buch der belgischen Regisseurin Chantal Akerman über ihre Mutter erscheint endlich auch auf Deutsch
Die belgische Filmemacherin Chantal Akerman ist berühmt geworden für ihre an den Rändern des Unausgesprochenen, Unaussprechbaren gedrehten Filme. Sie hat, was wir alltäglich verschweigen, verdrängen, zudecken mit Worten, Gesten und Verrichtungen, von der Peripherie ins Zentrum gerückt und unerbittlich ins Visier genommen. Ihre Filme schmerzen wie der Blick in den Spiegel, der nicht dem Rasieren, Frisieren, Schminken dient, sondern der für ein paar Augenblicke prüft, wer da blickt. Ein musternder, strenger Blick, der wirklich zu schauen, wahrzunehmen, aufzunehmen versucht und der den dabei einschießenden Gedanken und Gefühlen nicht ausweicht.
Es gibt Zuschauer, die das nicht aushalten. Schon bei Chantal Akermans bis heute berühmtestem Film, »Jeanne Dielmann«, der die Fünfundzwanzigjährige über Nacht berühmt machte, sie als Erneuerin des Kinos an die Seite Jean-Luc Godards stellte, liefen die Besucher reihenweise aus dem Saal. Es ist schwer, es tut weh, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Man verlässt das Kino, verletzt, ungetröstet, man geht und raucht und schweigt, lange, geht um mit dieser Wahrheit, bis man dann doch wieder einen Weg findet, um weitermachen, um noch ein bisschen weiterleben zu können.
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Chantal Akerman: »Meine Mutter lacht«. Diaphanes 2022, 208 Seiten, 22 Euro
FAS Nr. 48, 4. Dezember 2022, Feuilleton Seite 37