»Benn – Sein Leben in Bildern und Texten«

24.06.2008 Sprache/Meta

»Benn – Sein Leben in Bildern und Texten«Rezension

»Ich habe mich oft gefragt und keine Antwort gefunden« – Eine Bildbiografie über Gottfried Benn
Holger Hof hat aus einer ungeheuren Zahl von Fotos, Briefen, Zetteln, Skizzen, Artikeln und Zitaten diesen Band zusammengestellt


Am Ende war Benn selbst erstaunt über seinen Ruhm. Noch zu Beginn des Jahres 1947 erschien ihm seine Lage aussichtslos. Er hatte in Deutschland keinen Verleger, sein neuer Gedichtband, die »Statischen Gedichte«, erschienen dann im Herbst 1948 in der Schweiz. Er selbst erhoffte sich kaum noch etwas vom deutschen Literatur- und Kulturbetrieb. Und dann, kurz darauf, wurde alles anders. Der Limes-Verlag in Wiesbaden nahm ihn unter Vertrag, Zeitschriften begannen ihn zu umwerben, Benn las im Radio, Kritiken erschienen. Innerhalb eines Jahres war die öffentliche Aufmerksamkeit so groß geworden, dass Benn nicht nur wieder anerkannt war, sondern mit dem Erscheinen seiner Autobiographie »Doppelleben« im März 1950 zum meistbesprochenen Autor avancierte.

Aber es blieb Skepsis. »Bei mir melden sich Pressevertreter und Photographen von den merkwürdigsten Richtungen, ich weiss nie, gilt es einem neuen Angriff und einer neuen Anpöbelung oder literarischem Interesse«, schrieb er an seinen Verleger. Denn schon einmal hatte es so gut ausgesehen, Ende der zwanziger Jahre, als der literarische Außenseiter mit einem Mal im Zentrum des Literaturbetriebs angekommen war. Und mehr noch: mit der Zuwahl in die Preußische Akademie der Künste, Sektion Dichtkunst im Januar 1932 war er aufgestiegen in den deutschen Dichter-Olymp.

Doch schon kurz darauf folgte der Sturz. Am 30. Januar 1933 wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt, zwei Wochen später musste Heinrich Mann, Vorsitzender der Sektion Dichtkunst, der Benn für die Zuwahl vorgeschlagen und dem dieser zwei Jahre zuvor die Festrede zum 60. Geburtstag gehalten hatte, aus der Akademie austreten. Benn übernahm die kommissarische Leitung der Sektion und hoffte, ihr neuer Vorsitzender zu werden. Bei zahlreichen repräsentativen Anlässen trat er in der Öffentlichkeit auf und nutzte Rundfunk und Presse, um sich an der Seite des neuen Regimes zu positionieren.

So verkündete er in der Rede »Der neue Staat und die Intellektuellen« das Ende der liberalen Ära, in der die freie Geisteshaltung aus Loyalität zum neuen Staat aufzugeben sei. Freundschaftlich-besorgt schrieb ihm Klaus Mann aus dem Exil: »Sie sollen wissen, dass Sie für mich – und einige andre – zu den sehr Wenigen gehören, die wir keinesfalls an die ›andre Seite‹ verlieren möchten. Wer sich aber in dieser Stunde zweideutig verhält, wird für heute und immer nicht mehr zu uns gehören. Aber freilich müssen Sie ja wissen, was Sie für unsere Liebe eintauschen und welchen grossen Ersatz man Ihnen drüben dafür bietet; wenn ich kein schlechter Prophet bin, wird es zuletzt Undank und Hohn sein. Denn, wenn einige Geister von Rang immer noch nicht wissen, wohin sie gehören –: die dort drüben wissen ja ganz genau, wer nicht zu ihnen gehört: nämlich der GEIST.«

Aber Benn, der sich im »neuen Staat« schon in der Rolle, die der Futurist Marinetti im Italien Mussolinis eingenommen hatte, sehen mochte, ging in seiner Antwort, einem öffentlichen Brief, auf Distanz zu den linksliberalen, antifaschistischen Literaten, die Deutschland den Rücken gekehrt hatten. Er verteidigte die Entwicklungen in Deutschland als »Revolution« und bekannte sich zum deutschen Volk, das sich, so seine befremdlichen Worte, »züchten« wolle, das »mythisch« und »tief« sei. Vom in Großstädten aufgewachsenen, wurzellosen, kosmopolitischen Intellektuellen, für den Klaus Mann geradezu prototypisch stand, sei das eben weder zu verstehen noch mitzuleben. Vor der so offensichtlichen Tatsache, dass dieser Intellektuelle im »neuen Deutschland“ physisch bedroht war und ihm, wollte er nicht sein Leben aufs Spiel setzen, gar nichts anderes als das Exil übrigblieb, verschloss Benn die Augen.

Klaus Mann jedoch sollte sich mit seiner Vorausahnung von Undank und Hohn als guter Prophet erweisen. Bereits 1934, ein Jahr später, erfolgten erste Angriffe auf Benn, die nicht nur seine Dichtung in Frage stellten, sondern auch seine arische Abstammung in Zweifel zogen. Börries Freiherr von Münchhausen, Akademiemitglied wie Benn, attackierte die Dichter des Expressionismus, zu dessen prominentesten Vertretern Benn gehörte, als »Deserteure, Verbrecher, Zuchthäusler«, bei denen der Anteil der Juden »etwa hundert- bis zweihundertmal so stark wie ihr Anteil an der Bevölkerungszahl« sei. Implizit enthielt diese Schmähung – Börries von Münchhausen nannte Benn an erster Stelle – damit den Vorwurf, Benn sei jüdischer Abstammung, und das ohne jeden Beweis.

Benn setzte sich zur Wehr, und Börries von Münchhausen musste schließlich einlenken. Aber Benns Position war geschwächt und blieb es. Und nun ging er auch innerlich immer mehr auf Abstand zum NS-Staat. »Das Ganze kommt mir allmählich vor wie eine Schmiere, die fortwährend ›Faust‹ ankündigt, aber die Besetzung langt nur für ›Husarenfieber‹. Wie groß fing das an, wie dreckig sieht es heute aus«, schrieb er desillusioniert im August 1934 an die Schriftstellerkollegin Ina Seidel.

Nach dem Erscheinen der »Ausgewählten Gedichte« zum 50. Geburtstag kam es zu wüsten Attacken in der nationalsozialistischen Presse, in der Benns Gedichte als »Ferkeleien« bezeichnet wurden. Im März 1938 folgte, von höchster Ebene angeordnet (Goebbels und Göring waren in den Vorgang involviert), der Ausschluss aus der Reichsschrifttumskammer, was einem Berufsverbot gleichkam – Benn durfte fortan weder schreiben (was er dennoch weiterhin tat), noch konnte er publizieren. Hinzu kamen finanzielle Schwierigkeiten, da er auch in seinem Brotberuf, als Arzt, Beschränkungen unterlag. Einziger Ausweg war die Armee; gezwungenermaßen nahm er die »aristokratische Form der Emigration« auf sich, indem er als Sanitätsoffizier in die Wehrmacht eintrat.

Und nun, fünf Jahre nach Kriegsende, nach einem noch drei Jahre durch die Alliierten aufrechterhaltenem Berufsverbot, der erneute Aufstieg, der, wenn ihm nicht so viel Missachtung, psychisches Leid und physische Bedrohung, vorausgegangen wären, geradezu märchenhaft anmutete.

Das alles und noch viel mehr erfährt man in dem gewichtigen Bild- und Textband, den Holger Hof aus einer ungeheuren Zahl von Fotos, Briefen, Zetteln, Skizzen, Artikeln, Zitaten zusammengestellt hat. Beim Durchblättern des Bandes wird einem deutlich, wie symptomatisch dieses Leben, das doch das eines Einzelgängers und Außenseiters war, für Geisteshaltung und Verhalten vieler Deutscher, nicht zuletzt deutscher Schriftsteller, war. Angefangen bei der Kindheit in einem Pfarrhaus, so oft Ausgangspunkt deutscher Dichtung, wie Albrecht Schöne in seiner einschlägigen Studie »Säkularisation als sprachbildende Kraft« gezeigt hat, über Studien- und Militärzeit, Krieg und Nachkrieg, zwölf Jahre NS-Herrschaft und wieder Krieg, »Stunde Null« und Neuanfang als von den Alliierten beaufsichtigte bundesrepublikanische Demokratie.

Doch nach all dem bleibt, trotz Stolz und dem Gefühl der Rehabilitierung, nach Bucherfolg und Büchner-Preis, vor allem Skepsis. Denn Benns Leben ist eines so voller schmerzlicher persönlicher und geschichtlicher Erfahrungen, so voller Brüche, dass man sich fragt, wie er es ertragen hat. Gleich am Anfang steht das wochenlange qualvolle Sterben der brustkrebskranken Mutter, die ohne schmerzlindernde Mittel auskommen muss (der Vater verbietet deren Einsatz aus religiösen Gründen). Dann der Tod von Benns erster Frau 1922, nach wenigen Ehejahren – sie stirbt an den Folgen einer Operation. 1945 der Selbstmord der zweiten aus Angst vor Vergewaltigung durch Soldaten der Roten Armee. Und 1929 bereits war seine »Freundin« Lili Breda gleichfalls aus dem Leben geschieden, indem sie aus dem Fenster ihrer Wohnung sprang (nicht ohne Benn vorher anzurufen, der sie zerschmettert auf der Straße liegend fand). Dazu der erste Krieg, die Prägung durch sogenannte »männliche« Erfahrungen, die medizinische Ausbildung, Kampf und Behauptung im damals noch nicht stipendiensatten Literaturbetrieb der Zwanziger. Der Nationalsozialismus und der zweite Krieg, Bombenangriffe und Hunger. Und immer dabei: Enttäuschung, Angst, Einsamkeit.

So blättert man durch den Band und durch Benns Leben, schaut, liest, überdenkt das Gesehene und Gelesene, und dann ist es nicht nur das Symptomatische dieses Lebenslaufs, das einem, löst man sich von den Details, versucht man den Panoramablick, ins Bewusstsein tritt, sondern auch seine ungeheure Entfernung von uns Heutigen, sein, durch Gefühl, Empathie, uneinholbares Vergangensein.

Aber es sind diese Erfahrungen und Erlebnisse, die eigene Verstrickung in die so deutsche Problematik von Nihilismus und Größenwahn, die Anfälligkeit, die Verführbarkeit des Geistes durch die Macht, die Benn in seiner Dichtung einen neuen Ton anschlagen lassen. Und wieder, wie schon einmal in den zehner Jahren des 20. Jahrhunderts, trifft er damit die Stimmung der Zeitgenossen. Benn gebraucht eine Sprache, die über die Jahrzehnte hinweg zu den Anfängen der Moderne, zu den abgeschnittenen Avantgarden noch Verbindung hat, und zugleich den der Zeit angemessenen Ausdruck findet und über sie hinausweist in etwas, das Hoffnung und Zukunft zu nennen schwerfällt. Und es ist diese Sprache, die ihn mit uns Heutigen verbindet, die noch zu uns spricht und die uns erreicht:

Ich habe mich oft gefragt und keine Antwort gefunden,
woher das Sanfte und das Gute kommt,
weiß es auch heute nicht und muß nun gehn.


Holger Hof (Hg.): »Benn. Sein Leben in Bildern und Texten«. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2007. 280 Seiten, 59 Euro

Die Berliner Literaturkritik, 21. Juli 2008

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