Uwe Rada »Die Oder – Lebenslauf eines Flusses«

17.10.2010

Uwe Rada »Die Oder – Lebenslauf eines Flusses«Buchbesprechung

Für die Tasche

Zwei Grenzflüsse hat das wiedervereinigte Deutschland, nachdem die Elbe wieder zum gesamtdeutschen Fluss wurde: den Rhein im Westen und die Oder im Osten. Die gesamte Rheinregion ist mythologisch und auch nactional aufgeladen – was aber verbinden wir mit der Oder? Der Journalist und Autor Uwe Eada hat sich auf einer Reise entlang des Flusses gemacht und schildert in »Die Oder – Lebenslauf eines Flusses« die wechselvolle Geschichte.

Im Früh- und Hochmittelalter, unter Karolingern und Ottonen, war die oder jahrhundertelang Grenzfluss zwischen Germanen und Slawen. Als sich ab dem 12. Jahrhundert die Grenze weiter nach Osten verschob und Schlesien als eigener Kulturraum entstand, wurde die Oder Teil des Habsburgerreichs. Später, als die Zersplitterung des Oderraums durch die Eroberungen Friedrichs II. aufgehoben und die Oder ein durch und durch preußischer Strom wurde, begann auch ihre Domestizierung mit Deichen, was einerseits fruchtbares Ackerland bedeutete, andererseits bessere Schiffbarkeit – und nicht nur die Kolonisten kamen, sondern auch die Reisenden.

Dennoch trat die Oder erst durch die Schrecken des letzten Krieges ins nationale Bewusstsein: als im Oderbruch vor den Seelower Höhen die größte Schlacht auf deutschem Boden tobte und sie, wie der Rhein, zum europäischen Schicksals- und dann zum neuen Grenzfluss wurde. Auf den militärischen Kampf, dessen Spuren noch heute sichtbar sind, folgte der ideologische um die Anerkennung der neuen Grenze zwischen Deutschland und Polen.

In gesamtdeutsche Erinnerung rief sich die Oder dann erst wieder im Sommer 1997 mit Deichbruch und Überschwemmungen. Die Bilder von Bundeswehrsoldaten beim Sandsäckestapeln und Hubschraubern, die Bewohner von den Dächern retten, haben sich eingeprägt. Sind es also immer nur Katastrophen, die der Oder Aufmerksamkeit verschaffen?

Uwe Rada hat auch anderes zu erzählen in seiner Biographie des Flusses. Die Oder sei zwar spröde, aber sie habe auch betörende Schönheiten zu bieten, etwa im Nationalpark Unteres Odertal oder auf polnischer Seite im mittleren Odertal zwischen Glogów (Glogau) und Brzeg Dolny (Dyhernfurth), oder in Breslau, wo die vielerorts so wilde Oder mit lieblicher Insellandschaft überrascht.

Nun ist die durch heißen und Kalten Krieg bedingte Fragmentierung des Oderraums aufgehoben – die vielmals geteilten Städte, deren Hälften, wie Kleists Geburtsstadt Frankfurt, dem Fluss vierzig Jahre lang den Rücken kehrten, wenden sich nun wieder einander zu, es wurden Brücken gebaut und Fähren eingerichtet. Und seitdem auch Polen und Tschechien (wo die Oder entspringt) zu den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zählen, stiftet die Oder als Dreiländerfluss zwischen Mährischer Pforte und Oderhaff unter den Vertriebenen und Neusiedlern an beiden Ufern erstmals eine gemeinsame mitteleuropäische Identität. Der Naturraum wird nun auch zum narrativen Raum, in dem die jüngere Geschichte erzählt wird in Geschichten – wie zum Beispiel in jenen der polnischen Grenzlandschriftstellerin Olga Tokarczuk, für die der Fluss zur neuen Heimat wurde: »Wir, die wir verstreut sind, seit unserer Kindheit in verschiedenen Gegenden, finden im Fluss eine Art Verwurzelung.«


Uwe Rada: »Die Oder – Lebenslauf eines Flusses«. Siedler 2009, 224 Seiten, 16,95 Euro

FAS Nr. 41, 17. Oktober 2010, Reise Seite V2

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