Für den Tisch
Sachbücher für Kinder stehen seit Jahren hoch im Kurs. Unsere unmittelbaren Nachbarn im Osten, Polen und Tschechien, haben da, was Texte und Gestaltung angeht, ein besonderes Händchen, wie jetzt auch wieder ein Buch über die Antarktis beweist. »A wie Antarktis« von David Böhm ist, das sei gleich vorweg gesagt, einfach umwerfend. Für Kinder UND Erwachsene.
Ein eisiger Kontinent, auf dem selbst im Sommer Temperaturen zwischen minus zehn und minus vierzig Grad herrschen und wo die tiefste Temperatur gemessen wurde, weltweit: minus 89 Grad Celsius. Mit im Schnitt 2020 Metern über dem Meeresspiegel ist die Antarktis der höchste Kontinent und trotz gewaltiger, eigentlich nicht vorstellbarer Schnee- und Eismassen – drei Viertel des Süßwassers der Erde sind hier gespeichert – auch der trockenste, denn dort fallen weniger Niederschläge als in der Sahara. Dafür wehen hier die stärksten je über Land gemessenen Winde. Die Antarktis gehört niemandem, auf ihr befindet sich kein Staat, aber über 70 Forschungsstationen aus 30 Ländern mit Wissenschaftlerinnen, Feuerwehrleuten, Ärztinnen, Köchen, Künstlern, Meteorologen und Pilotinnen.
Das sind die Fakten, die David Böhm gründlich recherchiert und hervorragend aufbereitet hat. Aber er schreibt nicht nur klar und verständlich und stellt dabei zahlreiche Verbindungen unter den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen her, er regt durch Fragen, Vergleiche und Hinweise auch immer wieder zum Überdenken der eigenen Perspektive und Wahrnehmung an. So stellt er gleich am Anfang die Welt auf den Kopf, indem er erklärt, dass es auf der Erde kein Oben und Unten gibt und wie eine Weltkarte aussähe, in der nicht Europa das Zentrum bildete, sondern, eben, die Antarktis. Oder er erzählt die Geschichte von der »Eroberung« des Südpols. Nicht, wie üblich, nur aus der „Gewinner“- (Roald Amundsen) und Verliererperspektive (Robert Scott), sondern auch noch aus einer dritten, nämlich der von Ernest Shackleton, der 1915 mit seiner Expedition den Kontinent einmal zu Fuß überqueren wollte. Sein Schiff wurde bereits auf dem Hinweg vom Eis eingeschlossen und zermalmt. Durch das kluge, wache, sich erfinderisch und vorausschauend den Gegebenheiten anpassende Vorgehen Shackletons aber überlebten alle 27 Besatzungsmitglieder unter widrigsten Umständen anderthalb Jahre lang – vom 15. Januar 1915 bis zum 30. August 1916. Eine Leistung, die der, den Südpol als Erster erreicht zu haben, mindestens ebenbürtig ist, wie Böhm findet.
Das Buch des Absolventen der Akademie für Bildende Künste in Prag besticht auch durch seine abwechslungsreiche, aufwendige Gestaltung: historische und zeitgenössische Fotografien, Infografiken, selbstgebaute Modelle, ein psychedelischer Comic über Seekrankheit, Karten und ein Tagebuch von Böhms Söhnen, die mit ihm auf eine einmonatige Expedition in die Südpolargewässer gingen, werden auf Doppel- und Aufklappseiten mit eigenen Illustrationen kombiniert. Auch der Humor kommt dabei nicht zu kurz: Ein witziger Höhepunkt ist eine Schar von Plüschpinguinen, die eigens von der Künstlerin Dita Rakouská für das Buch genäht wurden.
David Böhm: »A wie Antarktis – Ansichten vom anderen Ende der Welt«. Aus dem Tschechischen von Lena Dorn. Karl-Rauch-Verlag 2019, 80 Seiten, 22 Euro
FAS Nr. 14, 5. April 2020, Reise Seite 46