»Drei Lebensläufe spannt der junge polnische Autor Wojciech Kuczok, der mit seinem ersten Roman, ›Dreckskerl‹, den wichtigsten Literaturpreis des Landes einheimste, in seinem neuen Roman auf. Da ist Adam, der junge schwule Arzt, der endlich den Absprung von den Eltern wagt, mitten hinein in die große Liebe zu einem Kleinkriminellen und Streetdancer. Da ist Robert, der krebskranke Schriftsteller mit Schreibblockade und einer Frau, die, von einer Stauballergie gequält, hochgradig neurotisch und voller Verlustangst, jeden seiner Schritte überwacht. Und da ist Rosa, bewunderte Schauspielerin und Werbe-Ikone, die an einer seltsamen Krankheit leidet: Wenn ihre Seele Lüge, Unaufrichtigkeit, Kälte, Betrug registriert, fällt sie von einer Sekunde auf die nächste in Schlaf. Eine Anomalie der Psyche, die sich ihr alles nach Verlust und Gewinn berechnender Bankiers-Ehemann und seine schrille Geliebte zu Nutze machen.
Drei parallel erzählte Lebensläufe also, die, wie kann es in einem Roman anders sein, sich nach den die Figuren vorstellenden Kapiteln zu kreuzen beginnen. Robert landet beim liebeskranken Adam in der Sprechstunde, wird dort nicht krebstherapiert, sondern bekommt die Augen geöffnet und kraxelt, angesichts der Kürze der Lebenszeit, die ihm bleibt, auf einen Kindheitsberg, wo er vor Rosas Haus auftaucht und prompt als Katalysator wirkt, der deren längst toter Ehe den Gnadenstoß versetzt.
Das Buch ist ein Pageturner, intelligent, witzig geschrieben, und gegen Ende nimmt es sich immer öfter auch selbstironisch in den Blick. Und doch bleibt ein Beigeschmack: Kuczok beherrscht sein Schreibhandwerk so gut, dass es auf Dauer ein bisschen langweilig wird. Denn trotz überraschender Wendungen tritt das Erwartbare ein, die Überraschungsmomente sind nicht mehr als ein paar Schlenker auf dem dramaturgisch doch ziemlich gut ausgeleuchteten Weg. Der Geschundene wird mit der Liebe belohnt, der Hochmütige wie der Kaltberechnende kommen zu Fall, der Künstler in der Krise wird erlöst und landet in der Transzendenz, von wo aus er seinen neugierig-amüsierten Blick auf die anderen richtet.
Das hat etwas von Opera buffa, man denkt an die Da-Ponte-Opern Mozarts oder die Verwicklungen bei Rossini. So intelligent wie dort die Libretti ist der Roman gestrickt, aber es fehlt die Musik, die die gutgeölte Sprache wieder ins Torkeln bringt und Abgründe zwischen den Wörtern aufreißt. Am Ende ist man so durchgedreht, als hätte man drei Woody-Allen-Filme hintereinander oder gar parallel gesehen. Manchmal ist Intelligenz ein Fluch: Hier steht sie dem hochtalentierten Schriftsteller Kuczok im Weg zum ganz großen Kunstwerk.«
Wojciech Kuczok: »Lethargie«. Roman. Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall. Suhrkamp Verlag, 252 Seiten, 19,90 Euro
kultiversum, 26. Oktober 2010